Auch blind kann man reiten das beweist Alexandra Schwarzer hier auf ihrer Stute Elding

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„Auf dem Pferd fühle ich mich einfach komplett“

Kannst du dir vorstellen dein Pferd zu reiten, ohne dass du etwas sehen kannst? Nein? Ich auch nicht. Alexandra Schwarzer aber schon. Sie ist blind – und reitet. Ich habe im Rahmen der Serie „Reiten mit Handicap“, die in der Zeitschrift DAS ISLANPDFERD erschienen ist, mit ihr gesprochen – und ich war wirklich beeindruckt von dem, was sie mir erzählt hat.

Blind reiten: Ja, das geht!

Unvorstellbar: Man wacht morgens auf und kann nicht mehr richtig sehen. Selbst die Ärzte im Krankenhaus können einem die Sehkraft nicht mehr zurückgeben. Was nach einem Albtraum klingt, ist Alexandra vor fast 20 Jahren wirklich passiert. Seitdem ist sie blind. Für sie war das aber kein Grund, das Reiten aufzugeben – im Gegenteil.

Alexandra ist Typ-1-Diabetikerin. Nachdem die Erkrankung 1989 diagnostiziert wurde, wurde sie entsprechend mit Insulin behandelt. Bis auf kleine Einschränkungen konnte Alexandra ihr Leben mehr oder weniger so weiterleben, wie bisher. Sie hatte eine Reitbeteiligung, einen Freund und später Ehemann und sie machte sogar ihren Motorradführerschein.

Zu spät wurde festgestellt, dass die Krankheit Diabetische Retinopathie mit sich brachte. Dies ist eine Erkrankung der Netzhaut, die das Sehvermögen beeinträchtigt und bis zum Erblinden führen kann. Um die Netzhauterkrankung aufzuhalten, bekam Alexandra Laserbehandlungen.

„Irgendwann wachte ich morgens auf und habe alles rot verschwommen gesehen“, erzählt sie. „Im Krankenhaus habe ich erfahren, dass es sich dabei um Einblutungen handelt, die durch die Lasertherapie entstanden sind.“ Die Ärzte mussten ihr die Glaskörper entfernen und seitdem ist sie blind. Lediglich hell und dunkel kann sie noch erkennen.

Die Erblindung warf Alexandra komplett aus der Bahn und krempelte ihr Leben von einem Tag auf den anderen um. Doch mit Hilfe ihres Mannes Detlev fand sie nach und nach in ihr neues Leben hinein und in ihr altes zurück. „Anfangs habe ich mich nicht einmal mehr getraut zu bügeln oder den Herd anzufassen“, erinnert sie sich. Und hätte ihr jemand erzählt, dass sie schon ganz bald wieder auf dem Pferd sitzen und reiten würde, hätte sie ihm das nicht geglaubt.

Schon ein Jahr nach ihrer Erblindung saß Alexandra wieder auf dem Pferd

Doch schon ein Jahr nach ihrer Erblindung saß Alexandra tatsächlich wieder auf einem Pferd. Der Anstoß dazu kam von ihrem Mann. Bis die beiden sich kennenlernten, hatte Detlev gar nichts mit Pferden am Hut. Erst durch Alexandra lernte er das Reiten und den Umgang mit den Vierbeinern kennen und schätzen. Alexandra selbst ritt von Kindesbeinen an und hatte bis zu ihrer Erblindung Pflegepferde und Reitbeteiligungen.

„Detlev kam zu mir und fragte mich, ob ich nicht Lust hätte auf einen Reiturlaub“, verrät sie und gibt zu, dass sie eine Weile gebraucht habe, um sich mit dem Vorhaben anzufreunden. Doch die Liebe zu den Pferden und der Spaß am Reiten waren einfach zu groß und so planten die beiden einen gemeinsamen Reiturlaub. „Wir haben über eine Annonce im ISLANDPFERD nach einem geeigneten Ferienhof für mich und mein Handicap gesucht – und auch gefunden.“ Wichtig bei der Auswahl war vor allem, dass es auch ein Pferd gab, das Alexandra trotz ihrer Behinderung reiten konnte.

Alexandra sollte das Seniorenpferd des Hofes reiten, ihr Mann bekam den, laut Alexandra, „eseligen Fünfgänger Bliki“. Doch so gut wie es am Anfang schien passten Reiter und Pferd dann doch nicht zusammen – zumindest nicht die Konstellation Detlev und Bliki: Beim Probereiten auf der großen Wiese ging Bliki keinen Schritt schneller als nötig. Alexandra konnte das nicht verstehen und wollte es selbst ausprobieren. „Wir haben die Pferde getauscht und ich bin Bliki einfach so in allen fünf Gängen geritten. Ich wollte gar nicht mehr runter und war total stolz“, erzählt sie rückblickend.

Angst habe sie vor ihrem ersten Ritt nicht gehabt. „Ich habe mir vorher überlegt, dass ja eigentlich nicht viel passieren kann. Und wohin ich reiten soll, wurde mir gesagt.“ Den Mut, den sie damals bewies, hat sie bis heute behalten.

Am Ende des Urlaubs wollte Alexandra ihren Bliki gar nicht mehr hergeben – aber das musste sie zum Glück auch nicht: Der Wallach stand zum Verkauf. Alexandra und Detlev dachten gar nicht lange nach, sondern nahmen ihn mit nach Hause. „Bliki war damals 19 Jahre alt und wir meinten, dass ein älteres  und ruhigeres Pferd für den Anfang ganz gut sei“, erklärt Alexandra.

Im Umgang mit dem Pferd auf Hilfe angewiesen

Mit Bliki hatte nicht nur Alexandra wieder ein Hobby, sondern auch Detlev – denn ohne die Unterstützung eines sehenden Begleiters geht es für sie dann doch nicht. Wenn Alexandra ihr Pferd von der Weide holt, putzt und sattelt ist sie auf Hilfe angewiesen. Außerdem könne sie nicht gut auf einem eingezäunten Platz oder auf einer Ovalbahn reiten, da sie nie wisse, wann das Ende einer Seite erreicht sei. Stattdessen reite sie die meiste Zeit im Gelände. „Wenn ich mit Bliki geritten bin, ist Detlev meistens mit dem Fahrrad mitgekommen“, sagt sie.

Rund fünf Jahre konnte sie ihren Bliki reiten, dann bekam er Probleme mit der Sehne und fing an, hin und wieder zu stolpern. Für Alexandra wurde das Reiten auf ihm damit zu gefährlich und sie sah sich nach einem neuen Reitpferd um. „Ich habe damals ein töltendes Verlasspferd gesucht“, sagt Alexandra. Ob Vier- oder Fünfgänger sei ihr egal gewesen, ebenso die Farbe. Nur eins war ihr wichtig: „Ich wollte keine Stute.“

Am Ende wurde es aber doch eine Stute – Elding. „Die Beschreibung der Züchterin hörte sich sehr toll an, deswegen sind wir hingefahren. Als wir da waren, stand das Pferd im Stall. Ich bin in die Box gegangen und habe die Stute abgetastet und mich dabei gleich sehr wohl gefühlt. Ich gedacht: ‚Du bist toll!‘ Beim Putzen bestätigte sich das Gefühl und beim Probereiten habe ich nur noch wie ein Honigkuchenpferd gegrinst.“

Elding sei sehr sensibel,  viel sensibler als Bliki, und damit für Alexandra mit ihrem Handicap viel einfacher zu reiten. „Wenn auf dem Weg tiefhängende Äste sind, dann nimmt sie Rücksicht und passt auf“, sagt Alexandra und erzählt, dass sie vor ihrem Umzug in den neuen Stall mit Elding sogar manchmal auch alleine ausgeritten sei. „Ich kannte die Wege alle noch von früher und wusste daher immer, wo ich war.“ Vorausgesetzt natürlich, es wurden nicht spontan Waldwege gesperrt. Das hat Alexandra nämlich auch schon auf einem ihrer Ausritte mit Elding erlebt. „Wir waren unterwegs und plötzlich blieb mein Pferd stehen und weigerte sich, weiterzugehen. Ich wusste nicht, was los war und habe sie zunächst weitergetrieben. Weil Elding sich aber nicht rührte, habe ich die Gerte ausgestreckt um zu fühlen, ob da was ist. Dabei habe ich dann die Absperrung bemerkt und kannte den Grund, warum Elding stehengeblieben ist. Sie passt einfach immer richtig gut auf, wenn ich sie reite.“

Auch auf kleinen Vereinsturnieren sind die beiden bereits an den Start gegangen. Einfach nur „just for fun“ wie Alexandra sagt. Eine Prüfung, die sie mitgeritten sei, war ein Trail, den alle blind durchreiten mussten. Da fiel ihr Handicap gar nicht auf, im Gegenteil: Alexandra hatte den anderen mit Sicherheit einiges voraus. Lediglich beim Mitternachtstölt durfte sie nicht mitreiten. „Da hatten die Veranstalter wohl Angst, dass was passiert, weil ich blind bin“, vermutet sie.

Schwierig: die Suche nach einer Reitbegleitung

Angst, dass etwas passiert, scheinen viele zu haben, denn auch die Suche nach einer Reitbegleitung gestaltet sich für Alexandra schwierig. Sie verrät, dass es ihr ganz lange genauso ergangen sei wie der blinden Frau, die neulich bei der Fernsehserie Die Pferdeprofis zu sehen war – niemand wolle mit ihr ausreiten. Jeder habe Angst, die Verantwortung für eine Blinde zu übernehmen und denke, dass er für sie mitgucken müsste. Dabei erwarte sie das gar nicht. „Niemand muss für mich mitgucken, mein Pferd würde schließlich nicht einfach gegen einen Baum laufen. Aber ich muss es halt akzeptieren, dass die anderen nicht mit mir ausreiten möchten.“

Am Wochenende ist sie immer mit ihrem Mann unterwegs – denn der hat mittlerweile ein eigenes Pferd: Als Alexandra Elding kaufte, war Bliki 24 Jahre alt. Und trotz seines Sehnenproblems wollte er noch kein Rentner sein. Deswegen machte Detlev kurzerhand einen Kutschenführerschein und konnte seine Frau auf Elding mit Bliki vor der Kutsche begleiten. Mittlerweile begleitet er seine Frau mit seinem neuen Pferd Nökkvi.

Vor rund zwei Jahren sind Alexandra und ihr Mann mit den drei Pferden zu Jana und Miriam Schäffer auf den Islandpferdehof Wolfstränke gezogen, an dem auch andere Reiter mit Handicap zu Hause sind. „Da machen sich die anderen nicht so ins Hemd, sondern nehmen meine Behinderung ganz locker“, sagt sie. Alexandra hat auch endlich eine Gruppe gefunden, mit der sie nun auch unter der Woche ausreiten kann.

Mehr Hilfe als beim Reiten braucht Alexandra jedoch im Umgang mit den Pferden. Sie kann am Stall zwar ohne Stock laufen, doch um die Stute von der Weide zu holen und zu putzen ist sie auf die Unterstützung ihrer Stallkollegen und ihres Mannes angewiesen. Damit sie nicht über mögliche Stolperfallen fällt, die in einem Stall schnell entstehen, bringt ihr jemand das Putzzeug und den Sattel zu ihrem Putzplatz, der auch immer aufgeräumt sein muss. Den Rest schafft sie dann alleine. „Wer mich nicht kennt und mich beim Putzen und Satteln sieht, der merkt gar nicht, dass ich blind bin“, erzählt Alexandra stolz.

Wichtig: Offener Umgang mit dem Handicap

Trotzdem: Ohne Hilfe geht es nicht. Das weiß sie und deswegen geht sie auch ganz offen mit ihrem Handicap um. „Wenn ich Unterstützung brauche und nicht sehe, wer da ist, frage ich einfach laut, ob mir mal jemand helfen kann. Dann kommt auch immer irgendwer und hilft mir. Wenn ich nichts sage, dann weiß auch niemand, dass ich Hilfe brauche.“ Deswegen sei es ganz wichtig offen zu sein und den Mut nicht zu verlieren  – und das gelte nicht nur für sie und andere gehandicapte Reiter, sondern für alle. Für die Zukunft wünscht sie sich, dass die vorherrschenden Berührungsängste verschwänden und mehr Toleranz gegenüber Menschen mit Behinderung entstehe.

An den IPZV und die Redaktion des Islandpferdes hat Alexandra übrigens einen ganz speziellen Wunsch: Sie würde sich freuen, wenn es die Zeitschrift nicht nur in gedruckter Form, sondern auch als ePaper geben könnte. Dann könne sie sich die Artikel nämlich von einem speziellen Computerprogramm vorlesen lassen und müsse nicht immer andere darum bitten.

* Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift DAS ISLANDPFERD 2/2015 und gehörte zur Serie „Reiten mit Handicap“.

Teil eins: Ausbildung des Therapiepferdes

Teil zwei: Therapeutisches Reiten

Teil drei: Reiten trotz Querschnittslähmung

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3 Kommentare zu „„Auf dem Pferd fühle ich mich einfach komplett““

  1. Oh wow, ich finde das großartig!!!
    Verstehe schon, wieso die Leute Hemmungen haben die Reitbegleitung zu sein und doch auch irgendwie nicht. Meine Jungstute und ich hatten neulich Besuch von einem 12 jährigen Mädchen, die wegen eines Defekts an der Netzhaut von Geburt an blind ist. Ich habe die Interaktion mit einer nicht sehenden Person zusammen mit dem Pferd als sehr besonders und bereichernd empfunden. Man versucht die Dinge anders wahrzunehmen, indem man sich hineinfühlt, wie jemand, der nicht sehen kann seine Umgebung wahrnimmt, erkennt und es war natürlich ungewohnt ihr die Dinge aus ihrer Position heraus zu beschreiben, damit sie sich orientieren kann und sicher fühlt, auch in unbekannter Umgebung. Ich habe an dem Tag beschlossen, meine Stute so auszubilden, dass dieses Mädchen in der Lage wäre, sie frei zu reiten, in Begleitung natürlich, auch auf dem Platz. Ich habe einen Traum und bin gespannt, was daraus wird. Ganz toll! Lasst euch nicht aufhalten!

    1. WOW, ein toller Traum! <3 Und ich find es toll, dass du dem Mädchen die Chance gegeben hast, mit deinem Pferd Erfahrungen zu sammeln. Das ist auch nicht selbstverständlich!
      Danke, dass du das erzählst und damit Mut machst!

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