Warum verhält sich mein Pferd so, wie es sich grad verhält? Mache ich vielleicht etwas falsch? Diese Frage stelle ich mir immer wieder. Denn auch wenn mein Pferd und ich ein gutes Team sind, gibt es immer wieder Situationen, in denen ich das Gefühl habe, wir verstehen grad nicht, was der andere möchte. Tiercoach Sonja Neuroth von Seelenfreunde Tierkommunikation hat sich dem Thema angenommen und erklärt in ihrem Gastbeitrag, wie du das Verhalten deines Pferdes besser verstehen kannst.
Gastbeitrag von Sonja Neuroth
„Der ist einfach aggressiv. Du musst härter durchgreifen und ihm mit etwas mehr Körpereinsatz zeigen, wer das Sagen hat.“ Diesen Ratschlag bekam eine meiner Klientinnen von ihrem Umfeld, als sich ihr Wallach plötzlich beim Spazieren immer wieder losriss und heim rannte.
Für sie kam es nicht in Frage, diesem Tipp zu folgen, da ihr Wallach seit mehreren Jahren ihr treuer Begleiter ist und die beiden eine innige Freundschaft verbindet.
Dahinter steckte sicher etwas anderes als Böswilligkeit oder Aggression. Vielleicht hast du auch schon öfter solche oder ähnliche „gut gemeinte“ Ratschläge bekommen, wenn es Probleme mit deinem Pferd gab.
Meiner Meinung nach ist es (abgesehen von der körperlichen Gewalt, die ich gegenüber Tieren ablehne) aber viel wertvoller, auf die Ursache des Problems zu schauen. Was steckt hinter dem Verhalten? Was braucht es, damit ihr in der Situation wieder ein gutes Team werdet? Ein gutes Team lebt davon, dass du dich für den anderen interessierst, ihn verstehen möchtest und seine Bedürfnisse ernst nimmst.
Dein Pferd ist nicht einfach ohne Grund aggressiv, ängstlich oder hört nicht auf dich. Hinter jedem Verhalten steht eine bewusste oder unbewusste Motivation. Ein Bedürfnis, das erfüllt werden möchte. Es kann sein, dass sich dein Pferd dieses Bedürfnis auf eine vollkommen „gesunde“ (also akzeptable und förderliche) Art und Weise erfüllt. Es kann aber auch passieren, dass es keinen anderen Weg kennt, als etwas zu tun, was dir nicht gefällt oder euch beiden schadet – z.B. treten, beißen oder Dinge kaputtmachen.
Vielleicht kennst du das auch von dir: Wir Menschen neigen manchmal ebenso zu einem Verhalten, das uns auf lange Sicht eher schadet. Wenn wir z.B. genau wissen, welche Äußerungen unsere Liebsten verletzen, aber es dennoch sagen und damit einen Streit beginnen. Oder wenn wir uns vorgenommen haben, eine Diät zu machen, aber dann beim Einkaufen doch von den Süßigkeiten an der Kasse angelächelt werden und nicht widerstehen können.
Wer hat bei Entscheidungen wirklich die „Zügel in der Hand“?
Sowohl bei deinem Pferd als auch bei dir greifen in diesen Momenten übrigens ähnliche Mechanismen. Eine Instanz im Gehirn schaltet sich ein und meldet: „Hey, hier ist ein Bedürfnis nicht erfüllt. Ändere das JETZT sofort, egal wie.“ Diese Instanz wird limbisches System genannt und ist bei uns Menschen aufgrund unserer Säugetierabstammung ähnlich aufgebaut wie bei den Pferden und anderen Tieren.
Im Laufe der Evolution hat sich bei uns lediglich das rationale Denken im Großhirn weiterentwickelt. Das heißt, wir werden ebenso wie Tiere durch unser limbisches System beeinflusst, können dann aber im Anschluss noch lange darüber nachdenken, warum es in dieser einen Situation doch gut war, die Schokolade zu kaufen, obwohl wir das eigentlich nicht wollten. 😉
Die Aufgabe des limbischen Systems ist vereinfacht erklärt: Die Reize, die von außen einströmen einzuordnen und Hormone wie Adrenalin oder Serotonin freizusetzen, die dem Körper mitteilen, was zu tun ist. Muss er jetzt fliehen, in den Kampfmodus gehen oder soll er sich entspannen (und sich z.B. mit der „wohlverdienten“ Schokolade belohnen)?
Bedürfnisse müssen erfüllt werden, vorher gibt es keine Ruhe. Meist greifen wir dabei auf die Strategie zurück, die uns am bekanntesten oder am naheliegendsten für uns ist. Beim Fluchttier Pferd ist das meist das Wegrennen, bei uns Menschen z.B. eine gewohnte Ernährungsweise.
Wenn du das Verhalten deines Pferdes einordnen und nicht nur an den „Symptomen herumschrauben“ möchtest, hilft es, wenn du neben seinen rein körperlichen Bedürfnissen wie Fressen und Schlafen auch seine limbischen (emotionalen) Bedürfnisse verstehst. Du kannst ihm dann dabei helfen, sie auf eine gesunde Art und Weise zu erfüllen.
Die emotionalen Grundbedürfnisse deines Pferdes
Das limbische System kennt drei Richtungen, in denen emotionale Bedürfnisse erfüllt sein müssen:
1. Sicherheit / Harmonie / Geborgenheit
Für Fluchttiere ist der Zusammenhalt und Schutz durch die Herde natürlich besonders wichtig. Dein Pferd braucht soziale Kontakte. Wenn es Unruhe in der Herde gibt, kann es schon einmal aus seinem Gleichgewicht geraten und nicht mehr ganz so gelassen sein.
Es kann dann sein, dass es sensibler als üblich reagiert, wenn weitere Störfaktoren wie laute Geräusche oder der Verlust eines Pferdekumpels dazukommen. Wenn es in der Prägephase deines vierbeinigen Begleiters Probleme gab (ein Unfall, zu frühes Absetzen von der Mutterstute, sonstiger Stress usw.), kann es sein, dass dein Pferd im späteren Leben ängstlicher ist, mehr zu Krankheiten neigt oder es ihm manchmal an Vertrauen mangelt.
Bei zu wenig Sicherheit kann es sein, dass dein Pferd ganz einfach flieht, aber eben auch, dass es aggressiv wird, weil es sich bedroht fühlt. Um eine bereits bekannte „Ordnung“ wiederherzustellen, kann es sein, dass dein Pferd in alte Muster verfällt. Zum Beispiel, wenn es früher einmal gelernt hat, dass es in Ruhe gelassen wird, wenn es buckelt, beißt oder tritt.
Um deinem Pferd das Bedürfnis nach Sicherheit zu erfüllen, achte darauf, dass du nicht zu viel Neues auf einmal von ihm verlangst, sondern ins Training auch immer wieder Dinge einbaust, die ihm bereits vertraut sind und die es mag. Das ist vor allem dann wichtig, wenn es aktuell noch weitere Veränderungen wie Stallwechsel bei euch gibt.
Außerdem hilft es deinem Pferd natürlich ungemein, wenn du ihm gegenüber Sicherheit ausstrahlst. Wenn du selbst in einer Situation unsicher bist, empfiehlt es sich, dass du dich auch mit deinem eigenen Bedürfnis nach Sicherheit auseinandersetzt. Du kannst dich mit Hilfe von Meditation innerlich auf stressige Situationen vorbereiten, z.B. mit meiner geführten Meditation Deinem Tier Sicherheit ausstrahlen.
2. Stimulanz/Abwechslung/Wachstum
Doch immer nur Sicherheit ist langweilig. Natürlich möchte dein Pferd nicht nur im Stall herumstehen, sondern es braucht auch mal andere Sinneseindrücke, möchte gefordert werden und Auslauf haben.
Meine Erfahrung ist, dass auch Tiere sich weiterentwickeln und dazulernen möchten. Bei Unterforderung entstehen Langeweile, Frust und überschüssige Energien, die an anderer Stelle herausgelassen werden, z.B. durch Aggressionen oder durch Dinge anknabbern, manchmal auch Kopfweben. Allerdings ist es eine ganz individuelle und teilweise auch rasseabhängige Sache, wie viel Abwechslung dein Pferd tatsächlich braucht.
Finde heraus, was deinem Pferd ganz besonders Freude bereitet. Liebt es eher Bodenarbeit und/oder möchte es geritten werden? Ist es ein Turnier- oder Freizeitpferd? Möchte es sich in kleinen oder größeren Schritten weiterentwickeln?
Du musst dein Pferd nicht rund um die Uhr bespaßen aber es liegt natürlich in deiner Verantwortung, ihm ein Umfeld zu schaffen, in dem es verschiedene Möglichkeiten hat und sich auch mal austoben kann, falls es das möchte.
3. Dominanz/Einfluss/eine Aufgabe haben
Mit Dominanz meine ich weniger, dass dein Pferd unbedingt der Leithengst/die Leitstute sein will, sondern dass es spüren möchte, dass es respektiert wird.
In einer Freundschaft oder Herde gibt es oftmals klare Rollen oder zumindest grobe Aufgaben. Dein Pferd möchte seine Stärken leben und dafür auch ernstgenommen werden.
Meiner Erfahrung nach hat jedes Tier eine gewisse Aufgabe an der Seite seines Menschen. Das kann auch etwas Allgemeines wie Stärke vermitteln oder Vertrauen lehren sein. Ein Pferd, das gar nicht gehört wird, schiebt Frust und verschließt sich. Die Kommunikation zwischen ihm und seinem Menschen ist dann nicht mehr so fein.
In welchem Bereich kennt sich dein Pferd besser aus als du? Lass dich ruhig auch mal von ihm führen, z.B. wenn ihr im Gelände seid, dein Pferd sich den für es besten Weg bahnt und du die Zügel lang lässt. Dein Pferd kann dir noch besser vertrauen, wenn es weiß, woran es bei dir ist.
Übe, ihm klare Signale zu senden, indem du dir deiner Ausstrahlung bewusst wirst und trainierst, Entscheidungen zu treffen. Klarheit war übrigens auch der Schlüssel bei meiner Klientin und ihrem Pferd. Wir haben herausgefunden, dass ihr Pferd das Bedürfnis nach Sicherheit und Dominanz hatte und sich deshalb losriss. Die Frau befand sich in einer stressigen Lebensphase, in der für sie einige Entscheidungen anstanden, vor denen sie sich jedoch länger gedrückt hat. Es ging da u.a. auch um die Frage nach einem Stallwechsel. Ihr Pferd spürte ihre Unsicherheit und wollte als ersten Reflex einfach nur zurück zum sicheren Stall fliehen. Gleichzeitig fühlte es sich in die Entscheidung in Sachen Stallwechsel zu wenig mit einbezogen, da es der bisherige Stall eigentlich recht war. Vor allem aber war es durch das Zögern und Aufschieben seiner Halterin genervt und empfand ihre Ausstrahlung nicht mehr als klar. Es wollte sich im wahrsten Sinne des Wortes nicht führen lassen. Als sie sich endlich entschied und ihre Ausstrahlung veränderte, gab es zwischen den beiden keine Probleme mehr.
Was braucht dein Pferd?
Wenn du ein Verhalten deines Pferdes verstehen möchtest, konzentriere dich also nicht nur darauf, was es macht, sondern frage dich auch, welche Bedürfnisse da angesprochen werden:
- Hat sich in letzter Zeit etwas verändert, das mein Pferd verunsichern könnte?
- Hat mein Pferd zu wenig Abwechslung?
- Ist der Platz meines Pferdes an meiner Seite und in der Herde geklärt? Oder möchte es mehr mit einbezogen werden?
Bei jedem Pferd sind die drei Grundbedürfnisse übrigens unterschiedlich gewichtet. Ein Pferd braucht mehr Sicherheit als das andere usw. Falls du noch mehr über die individuellen Bedürfnisse deines Pferdes herausfinden möchtest, empfehle ich dir mein Bedürfnistypen-Quiz, bei dem du am Ende auf den Bedürfnistypen deines Pferdes zugeschnittene Tipps bekommst.
© Text und Bild: Sonja Neuroth
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1 Kommentar zu „Pferdeverhalten verstehen – Diese 3 Grundbedürfnisse solltest du kennen“
Liebe Sonja,- ganz einfach: hervorragend! merci