Reiten trotz Querschnittslähmung: Corinne sitzt auf ihrem Rollator, neben ihr stehen ihr Islandpferd und ihr Hund

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„Man darf sich nicht entmutigen lassen“: Corinne reitet trotz Querschnittslähmung

Etwas raschelt, das Pferd erschrickt, man fällt runter. Das ist mit Sicherheit jedem Reiter mindestens einmal passiert. Im besten Fall wird der Dreck von der Hose geklopft und wieder aufgesessen. Doch nicht immer verläuft ein Sturz glimpflich: Als Corinne Bäumler vom Pferd fiel, lautete die Diagnose Querschnittslähmung. Doch auch sie klopfte sich den Schmutz ab und stieg wieder in den Sattel – und das nur fünf Monate später.

Reiten trotz Querschnittslähmung: Corinna sitzt auf ihrem Pferd und hat ihren Hund an der Leine
Reiten trotz Querschnittslähmung – für Corinne ist das mittlerweile selbstverständlich

Im November 2005 half Corinne als Jungpferdebereiterin auf einem Hof auf Island. Sie wollte ihr Hobby zum Beruf machen, denn seit ihrer Kindheit, drehte sich in ihrem Leben fast alles um Pferde. Ihr Traum endete aber, als sich das Jungpferd, auf dem sie saß, erschreckte. Corinne stürzte und brach sich dabei den ersten und sechsten Halswirbel, die ihr Rückenmark quetschten. Seitdem ist sie von der Brust an querschnittsgelähmt. „Das war halt einfach Pech“, sagt sie heute.

Nur rund fünf Monate nach dem Unfall saß Corinne wieder auf einem Pferd. Sie wurde in einer Hamburger Klinik behandelt, in der Hippotherapie als fester Bestandteil zur Physiotherapie gehört. Angst habe sie dabei nicht gehabt, sagt sie rückblickend, sie wollte schließlich unbedingt wieder aufs Pferd. Deswegen suchte sie nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus in ihrer Heimat Bad Neuenahr-Ahrweiler in Rheinland-Pfalz nach der Möglichkeit, die Hippotherapie fortzusetzen – leider ohne Erfolg.

Weil Corinne aber reiten wollte, versuchte sie es einfach mit ihren eigenen beiden Islandpferden. Rokkur und Hjalti wegen des Unfalls zu verkaufen, kam für sie ohnehin nicht in Frage. „Ich habe die beiden schon sehr lange, kenne sie gut und vertraue ihnen. Deswegen hatte ich auch keine Angst, mich auf die beiden zu setzen. Vor allem Rokkur ist wie geboren dafür. Er ist sehr sensibel und sehr entspannt. Auf ihm fühle ich mich wirklich sicher. Mit Hjalti klappt es leider nicht so gut. Er ist manchmal ein sturer Esel“, sagt Corinne.„Rokkkur zum Beispiel geht ganz brav neben dem Rollator her und akzeptiert, dass es nur sehr langsam vorwärts geht. Bei Hjalti ist das anders. Wenn er Gras sieht, dann will er dort hin und zieht mich einfach um. Ich bitte deswegen immer andere, ihn für mich zu holen.“ Das sei auf ihrem Hof aber auch überhaupt kein Problem.

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Die ersten Reitversuche

Bei ihren ersten Reitversuchen auf den eigenen Pferden wurde Corinne von einer Freundin unterstützt, die Physiotherapeutin ist. „Anfangs musste ich mich beim Reiten noch viel festhalten, weil ich nicht frei sitzen konnte. Außerdem fiel es mir vom Kreislauf her sehr schwer. Doch nach und nach wurde es immer besser.“

Zum Aufsteigen benutzt sie einen Hocker und stützt sich am Pferd sowie an der Schulter ihres Helfers ab. Sie legt sich mit dem Oberkörper über den Pferderücken und der andere zieht das rechte Bein zum Steigbügel hin. „Meine linke Seite funktioniert besser als die rechte“, sagt Corinne.

Die ersten drei, vier Jahre ritt sie nur Schritt. Sobald Rokkur schneller wurde, fühlte sie sich unsicher. Vor allem mit dem Trab hatte sie Schwierigkeiten. Mit der Zeit wurde sie aber immer sicherer und so traute sie sich vor rund vier Jahren das erste Mal langsamen Tölt zu reiten. Seit einem Jahr galoppiert sie sogar – „aber nur an Tagen, an denen ich mich wirklich gut fühle. Ansonsten wird halt eine Schrittrunde gemacht“, verrät Corinne und erzählt: „Im vergangenen Jahr war ich auf Island und wir sind ausgeritten. Dabei ist mein Pferd durchgegangen – aber ich habe mich nur kurz unsicher gefühlt.“ Wegen solchen Situationen ist sie eigentlich auch nie alleine unterwegs. „Das wäre ziemlich unvernünftig, falls doch mal was passiert“, sagt sie.

Wichtig: Nicht aufgeben!

Im Laufe der vergangenen Jahre hat Corinne eine Sache gelernt: Nicht aufgeben und sich nichts einreden lassen. „Ich habe in meinen Händen kaum Kraft und wenn das Pferd den Kopf runternimmt, kann ich die Zügel nicht mehr halten. Ich habe lange überlegt, wie ich das Problem am besten lösen kann, und auch jede Menge ausprobiert.“

Die für sie beste Lösung sind auf jeder Seite des Zügels drei Schlaufen, in die sie greift. Rokkur kann ihr so die Zügel nicht aus der Hand reißen und Corinne kann die Zügellänge variieren. Wenn sie töltet, greift sie in die erste Schlaufe, für die Dehnungshaltung im Schritt nimmt sie die dritte Schlaufe. An ihrem Sattel ist ein Hilfsriemen, an dem sie sich im Zweifelsfall festhalten kann und ihre Steigbügel haben Querstreben, die das Durchrutschen der Füße verhindern. Mehr Hilfsmittel benutzt Corinne aber nicht. Ihre Fußgelenke kann sie nicht richtig kontrollieren. Aber ein bisschen treiben geht mit beiden Seiten.

Corinnes Zügel mit Schlaufen, damit sie sie besser halten kann
Um die Zügel besser halten zu können, hat Corinne Schlaufen anbringen lassen.

 Die Streben vorne an den Steigbügeln verhindern ein Durchrutschen des Fußes

Die Streben vorne an den Steigbügeln verhindern ein Durchrutschen des Fußes

 

Beim Reiten die Querschnittslähmung vergessen

Wenn Corinne auf dem Pferd sitzt, dann kann sie ihre Querschnittslähmung ein Stück weit vergessen. „Auf dem Pferd bewege ich mich schließlich genauso vorwärts, wie jeder andere Mensch auch. Die Tiere geben mir unendlich viel. Sie sind so viel stärker als wir Menschen, aber sie geben sich unglaubliche Mühe, alles richtig zu machen und das zu tun, was wir von ihnen verlangen – selbst, wenn die Hilfen vielleicht nicht so verständlich sind.“

Fünf bis sechs Mal pro Woche sitzt sie auf dem Pferderücken und das regelmäßige Training hat ihr physisch und psychisch sehr geholfen. Anfangs war sie von der Brust an gelähmt und konnte auch ihre Finger kaum bewegen. Inzwischen kann sie ihre Arme strecken und beugen, ihre Hände besser bewegen und mithilfe eines Rollators langsam laufen. Ihr ehrgeiziges Ziel: Reiterlich in die Richtung zu kommen, in der sie vor dem Unfall war.

Nicht entmutigen lassen

„Ich versuche, meine Pferde so gut wie möglich zu reiten und das beste aus ihnen herauszuholen“, sagt sie. Und das gelinge trotz der Einschränkungen ganz gut. Aber, fügt Corinne hinzu, das Gelingen sei vor allem Mentalitätssache. Man dürfe sich nicht entmutigen lassen. „Ich probiere einfach immer wieder was Neues aus. Und entweder es klappt – oder es klappt nicht. Wichtig ist nur, dass jemand dabei ist, dem man vertraut und der einem im Zweifelsfall helfen kann.“

Auch die Bodenarbeit übernimmt Corinne mittlerweile selbst. Im vergangenen Jahr bekam sie von einer Stiftung einen Segway geschenkt. Auf dem kann sie nun sitzen, während sie ihre Pferde longiert. Eine Sache, die sie gerne in Angriff nehmen würde, ist eine Ausbildung beim IPZV. Doch das scheitert bisher am Regelwerk des IPZV, in dem Reiter mit Handicap nicht wirklich berücksichtigt werden. „Bis auf den Basispass hab ich leider keine Abzeichen und bei den API-Lehrgängen kann ich nicht alle Prüfungsanforderungen erfüllen. Ich springe zum Beispiel nicht. Als ich nachgefragt habe, ob es trotzdem möglich sei, die Lehrgänge zu absolvieren, konnte mir niemand eine konkrete Antwort geben. Für solche Fälle fehlen beim IPZV noch klare Regeln.“

Jedes Handicap ist anders

Corinne hofft, dass an dieser Stelle nochmal nachgebessert wird. Sie weiß jedoch auch, wie schwer es ist, eine klare Regelung zu treffen: „Jedes Handicap ist schließlich anders, da ist es schwer zu sagen, wie es besser gemacht werden kann.“ Und bis es eine klare Regel gibt, bildet sie sich einfach selbst weiter: Im Mai nahm sie an einem Intensivlehrgang bei Walter Feldmann teil – ihr erster Kurs seit dem Unfall. Für Oktober hat sie sich bereits für einen zweiten Lehrgang angemeldet, um das, was sie gelernt hat, vertiefen zu können.

* Dieser Artikel erschien in der Zeitschrift DAS ISLANDPFERD 4/2014 und gehörte zur Serie „Reiten mit Handicap“.

Teil eins: Ausbildung des Therapiepferdes

Teil zwei: Therapeutisches Reiten

Fotos: © Corinne Bäumler

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5 Kommentare zu „„Man darf sich nicht entmutigen lassen“: Corinne reitet trotz Querschnittslähmung“

  1. Wow, was für eine beeindruckende junge Frau. Wie mutig und lebensbejahend. Ich finde ihre Einstellung wirklich beeindruckend. auch wenn ich mich gerade wiederhole, es ist toll, wenn Menschen sich trauen, trotz aller Umstände. Danke für diesen wunderschönen Artikel, Petra

  2. Vor 13 Jahren traf ich auf einem Ausritt Sven, er war damals 12 Jahre alt und ab der Hüfte abwärts gelähmt seit er 4 war und saß im Rollstuhl.

    Zum Schrecken seiner Mutter damals fragte ich ihn ob er sich auf mein Pflegepony Drengur setzen wolle.
    Er bekam große Augen und entschied sich dafür es zu probieren.

    Da er ohne Sattel kaum Halt hatte, nach vorne kippte und durch das Korsett dann Schmerzen hatte wollte er ganz schnell wieder runter.

    Jetzt waren wir ja schon so ca. 10m gegangen. Seine Mutter überredete ihn dann sich aufrecht hinzusetzen, damit die Korsage nicht mehr drückte und wenigstens bis zum Rolli zurück zu reiten.
    Das tat er dann auch.

    Aufrecht sitzend übers ganze Gesicht strahlend gingen wir zurück zum Rolli.

    Als er wieder unten war, fragte ich ihn ob er noch mal wolle irgendwann.
    Schüchtern antwortete er, „ja“ die Schüchternheit im Rolli hat sich bis zuletzt nicht gelegt. Auf dem Pferd plapperte er wie ein Wasserfall.

    Wir verabredeten uns für nächste Woche.
    Schnell organisierte ich noch einen Voltigiergurt und freute mich auf das nächste Treffen.

    Das erste mal mit Voltigiergurt lief dann schon super. Sven war sehr mutig und Drengur die Ruhe selbst, Isi halt.
    Sven hielt sich den ersten Ausritt (hatten keinen Platz) eisern mit beiden Händen fest. Ganz am Schluss versuchte er es dann nur mit einer Hand.

    Den zweiten Ausritt versuchte er direkt nur mit einer Hand festhalten und am Schluss Freihändig.

    Der Junge mit dem eisernen Willen 🙂 so bekam er relativ schnell von mir ein paar Zügel in die Hand, welche am Stallhalfter befestigt waren, da seine Hand noch sehr unruhig war.
    Kein Wunder, er konnte sich ja nicht mit den Beinen Fixieren.

    So saß er auf einem verfressen Isi, der versuchte jedes Grasbüschel mitzunehmen und zog teilweise die Zügel bis hinter seine Ohren, damit der Kopf wieder hoch kam.

    Sven genoss seine neugewonnen Freiheit, während ich mich mit seiner Mutter unterhielt, dirigierte er Drengur quer durch den Wald, kletterte kleine Hügel mit ihm hoch und über Baumstämme.

    Da Drengur ein wandelndes Sofa war, klappte es auch recht schnell mit dem Tölten.
    Irgendwann hatten wir dann einen Bolzplatz in der Nähe gefunden, welcher bei gutem Wetter zum Reitplatz umfunktioniert wurde.

    Sven lernte Übergänge reiten, tötete die ersten längeren Strecken und wagte sich an den Galopp.

    Eines Tages stand ich mit seiner Mutter da und wir schauten nichts ahnend zu, da steuerte Sven Drengur gezielt zu einem Graben und sprang mit ihm drüber. Mir blieb vor Schreck fast das Herz stehen, aber Sven war glücklich.

    Eines Tages kam er und verkündete ganz stolz, dass er seinen Oberschenkel im Sitzen jetzt um 1-2 cm anheben konnte. Ich habe mich so sehr gefreut.

    Ein Jahr durfte ich mit ihm und seiner Mutter bei unseren Wöchentlichen Ausritten verbringen, dann musste ich umziehen.

    Als Highlight und als kleine Überraschung für Sven haben seine Mutter und ich beschlossen an einem Tunier teilzunehmem.
    Es sollte ein Führzügeltunier werden.
    Ich habe Wochen damit verbracht, ein Tunier zu finden, wo wir starten durften.
    Entweder wurde er aufgrund seiner Behinderung direkt ausgeschlossen, oder es hätte ein Amtsärztlicher Attest vorliegen müssen, welcher leider zu teuer war.

    Das Glück hatte uns aber nicht verlassen und ich fand in 4 Stunden Schrittausritt Entfernung ein kleines Tunier wo wir starten durften.

    Am Tag des Tunieren machte ich mich früh auf den Weg und ritt 4 Stunden bis zum Ort des Geschehens.
    Dort angekommen und nahezu so nervös und aufgeregt wie Sven machten wir Drengur fertig und zogen und beide passend zueinander an. Gummireitstiefel, weiße Legins, hellblaues T-Shirt und Helm.
    Drengur bekam auch eine Hellblaue Decke, den Voltigurt und seine Einohrtrense.

    Da kam eine Frau vorbei und sagte wir dürfen so nicht starten, wir hätten keinen Sattel und eine Gerte wäre auch verboten beim Führzügeltunier.

    Sehr geknickt ging ich zu den Richtern und fragte noch einmal nach und schilderte die Situation.
    Als ich ihnen erklärte, dass Sven kein Gefühl in den Beinen hat und auch nicht in einem Sattel mit Steigbügel sitzen kann, mal davon abgesehen, dass wir ihn da nie hoch bekommen hätten, wurde der Voltigurt dann abgesegnet.
    Nach einigem Hin und Her, dann auch die Gerte.

    Zum Glück fragte ich dann noch wegen der Trense nach und durfte die Einohrtrense dann gegen eine Leihgabe aus dem Stall tauschen.

    Sven und ich total aufgeregt betraten also den Platz und reihten uns ein.
    Dann gab es erst mal eine Ansage, dass heute jemand außer der Wertung mitreiten würde und das sie es ganz toll finden würden, dass er hier startet.
    Es lief alles super und kam zur Siegerehrung.
    Auch hier gab es für Sven extra Applaus, eine eigene Schleife und ein extra Päckchen Gummibärchen.
    Dann durfte er noch die Ehrenrunde anführen und er war so stolz.

    Sven hat mir gezeigt, dass es sich lohnt zu kämpfen.

    1. Liebe Liselotte,

      eine tolle Geschichte! Ich finde es super von dir, dass du Sven zum Reiten gebracht und dich so für ihn eingesetzt hast! Habt ihr noch Kontakt und reitet Sven heute noch?

      Bei solchen Geschichten, hat man auch gleich wieder einen ganz anderen Blick auf die Pferde. Sie sind so stark und könnten machen, was sie wollen. Jemand wie Sven läge sofort unten. Aber nein: Sie nehmen so viel Rücksicht und achten auf uns. Und das ist einfach wahnsinnig schön.

      Viele Grüße
      Karo

  3. Hallo Karo,

    also abgesehen davon, dass das eine wirklich sehr beeindruckende Geschichte ist und Corinne großartige Stärke beweist, ist die auch richtig gut geschrieben! Ich habe erst am Ende gelesen, dass Du den Artikel mal für eine Zeitschrift verfasst hast und dachte aber schon beim Lesen „Wow, das liest sich wie ein Artikel, bei dem jemand das journalistische Handwerk versteht.“ 🙂

    Liebe Grüße, Saskia

    1. Hui, liebe Saskia, ganz lieben Dank für deinen lieben Kommentar und deine lieben Worte, über die ich mich grad sehr freue! ❤️
      Und ja, mich hat Corinne auch sehr beeindruckt und ich finde da kann man echt den Hut vor ziehen.
      Ich hab durch die Serie, die etwa die Ausgaben eines Jahres füllten, so viele beeindruckende Reiter kennengelernt. Selbst blinde und taube Reiterinnen waren dabei. Die Geschichten veröffentliche nach und nach, die machen so toll Mut!
      Viele Grüße
      Karo

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