Die folgende Aussage, von der ich lange Zeit dachte, dass es sie nicht mehr gibt, taucht in meiner Pferdeblase nicht mehr wirklich auf, in der Realität außerhalb meiner Bubble aber schon: „Setz dich durch, dein Pferd verarscht dich!“ Diese Aussage ist absoluter Bullshit und fachlich völlig falsch. Warum dies so ist und warum sich dein Pferd verhält wie es sich verhält, verrate ich dir in diesem Beitrag.
Die Idee, dass das eigene Pferd einen verarsche ist erschreckend weit verbreitet. Dabei ist das nicht möglich, das Pferdegehirn erlaubt diese Verhaltensweise nicht. Dein Pferd ist gar nicht in der Lage, dich zu verarschen!
Im Pferdegehirn ist das Kleinhirn (Cerebellum) wesentlich ausgeprägter als das Großhirn. Das Kleinhirn ist das Kontrollorgan der Willkürmotorik. Das Großhirn kontrolliert die meisten Aktivitäten des Pferdes und ist Sitz des Bewusstseins und des Gedächtnisses. Im Großhirn sitzt auch der präfrontale Cortex. Dieser ist zuständig für Aspekte wie Planung, Sozialverhalten und kognitive Leistung und bei uns Menschen wesentlich ausgeprägter als bei unseren Pferden.
Daraus lässt sich schließen: Ein Pferd ist gar nicht in der Lage uns Reiter zu verarschen, weil ihm die entsprechende Hirnleistung fehlt, um so vorausschauend und komplex planend zu handeln, wie wir Menschen es können. Wenn dein Pferd im Training also nicht so reagiert, wie du es gern hättest, such den Fehler nicht beim Pferd, sondern bei dir.
Das bedeutet aber nicht, dass Pferde dumm sind! Ein Pferd verhält sich vielmehr so, wie es in seiner Natur liegt. Als Fluchttier strebt es nach Pferde Überleben, Existenzsicherung und der Bedürfnisbefriedigung (mehr dazu kannst du hier lesen).
Warum macht mein Pferd nicht, was ich will?
Die Frage, warum dein Pferd nicht das tut, was du von ihm möchtest, kann ich dir in diesem Blogartikel und ohne euch zu sehen nicht beantworten. Aber ich kann dir sagen, dass dein Pferd Gründe hat. Denn Verhalten ist Kommunikation und in dem Moment, in dem dein Pferd sich nicht wie gewünscht verhält, teilt es dir mit: Ich kann nicht machen, was du von mir verlangst.
Wenn dein Pferd sich nicht so verhält, wie du es gern hättest, empfehle ich immer einen Schritt zurückzutreten und objektiv zu schauen, woran es liegen kann. Du bist die Trainerin/der Trainer deines Pferdes und daher obliegt es deiner Verantwortung, deinem Pferd das positive Erlernen einer Lektion zu ermöglichen.
Fragen, die du dir stellen kannst:
Habe ich klare Signale gesendet und die Aufgabe verständlich kommuniziert?
Nicht selten erlebe ich, dass Signale nicht klar gegeben werden. Das Pferd soll langsamer werden, gleichzeitig wird aber noch mit Gerte oder Peitsche oder Körperenergie getrieben. Oder aber das Pferd soll schneller werden, während der eigene Körper bremsend wirkt.
Tipp: Stell dir doch mal dein Handy an den Reitplatz und film dich. Dann wird dir sowas auffallen.
Ist mein Pferd in der Lage, die Aufgabe auszuführen?
Du hast klar und verständlich kommuniziert aber dein Pferd zeigt das gewünschte Verhalten trotzdem (noch) nicht? Dann kann es entweder daran liegen,
- dass dein Pferd die Aufgabe körperlich (noch) nicht umsetzen kann, weil ihm z.B. die Muskulatur fehlt, weil es unausbalanciert ist, weil es körperliche Einschränkungen hat (Arthrose o.ä.), weil ihm der Sattel schmerzt und es nicht über den Rücken gehen kann oder
- dass dein Pferd die Aufgabe (noch) nicht umsetzen kann, weil sie neu ist und erst kleinschrittig aufgebaut werden muss.
Möchtest du Schulterherein trainieren, kannst du die Lektion in kleine einzelne Aspekte zerlegen und diese nach und nach üben und so zur Lektion Schulterherein zusammenfügen – wie du da vorgehen kannst, verrate ich dir z.B. in meinem Beitrag zur Erstellung eines Trainingsplans sowie in meinem Onlinekurs Rückenfitte Pferde.
Biete ich meinem Pferd eine adäquate Lernsituation?
Ein Punkt, der viel zu oft übersehen oder unterschätzt wird, ist die Frage nach einer adäquaten Lernsituation. Habt ihr eine Trainingssituation, in der dein Pferd überhaupt in der Lage ist, zu lernen?
Die Lernbereitschaft deines Pferdes lässt sich beeinflussen. Stress beispielsweise hemmt die Lernfähigkeit. Bei Stress werden Hormone freigesetzt, die sich an den Hippocampus, die Lernzentrale im Gehirn, setzen und ein klares Denken sowie eine Kontrolle des Fluchtreflexes verhindern.
Hat dein Pferd also Stress, weil neben eurem Platz ein Trecker fährt, weil der Rest der Herde gefüttert wird, weil du angespannt und ungeduldig bist, weil dein Pferd Schmerzen hat, weil es windig ist, weil es dich nicht versteht, weil du zu viel auf einmal willst o.ä., wird dein Pferd nicht lernen können. In so einem Fall einfach mal ein paar Runden entspannt Schritt führen und dabei atmen (!) oder stehenbleiben und dein Pferd abstreichen – langsame Streichungen haben einen entspannenden Effekt und geben deinem Pferd zugleich ein besseres Gefühl für seinen Körper.
Dann erst fängst du mit dem Üben der Aufgabe wieder von vorn an.
Positiv beeinflussen lässt sich die Lernbereitschaft des Pferdes durch Motivation. Motivation kann von internen und externen Faktoren gesteuert werden. Ein extrinsischer Motivator ist beispielsweise Futter. Ein intrinsischer Motivator kann neben hormonellen Abläufen (wie die Rosse) auch Hunger und bereits gemacht Erfahrungen sein. Schaust du dir meinen Sleipi auf der Wippe an, ist sein Motivator ganz sicher nicht allein das Futter (Heucobs zum Trockenfüttern!) (hier geht es zum Video)
Lernen ist wie Kommunikation und findet immer statt
Lernen findet ständig statt, denn letztlich ist die gesamte Auseinandersetzung deines Pferdes mit seiner Umwelt ein dauerhafter Lernprozess. Du kannst also nicht sagen „jetzt lernen wir und jetzt nicht“. Dein Pferd lernt durch die Konsequenzen seines Verhaltens und den empfundenen Emotionen. Hat sich das Verhalten gelohnt, wird es in Zukunft häufiger gezeigt. Dabei entscheidet dein Pferd und nicht du, ob sich das gezeigte Verhalten gelohnt hat, oder nicht.
Wenn du weißt, dass Lernen immer stattfindet und dass dein Pferd durch die Konsequenzen seines Verhaltens und den damit empfundenen positiven oder negativen Emotionen lernst, kommst du zur Lerntheorie und den Lerngesetzen. Darüber habe ich hier bereits ausführlich geschrieben und wenn du dich mit dem Lernverhalten von Pferden noch nicht beschäftigt hast, empfehle ich dir meinen Beitrag zum Clickertraining, in dem ich auf das Lernverhalten eingehe, in meinen Onlinekurs Grundlagen der Bodenarbeit und natürlich in meinem Buch Sensomotorisches Pferdetraining, in dem es ein Kapitel dazu gibt.
Aber nicht nur dein Pferd lernt immer, auch du. Und deswegen find ich es so wichtig, dass wir Menschen unser eigenes Verhalten stets kritisch hinterfragen: Haben wir uns eindeutig verhalten? Haben wir die richtigen Signale kommuniziert? Nur so können wir unserem Pferd gegenüber fair bleiben und eine vertrauensvolle Person sein, mit der unser Pferd gern seine Zeit verbringt.
Und wenn dir das nächste Mal jemand sagt, dass dich dein Pferd verarschen würde, kannst du diese Person aufklären, weil du nun weißt, dass das gar nicht sein kann!
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1 Kommentar zu „Dein Pferd verarscht dich nicht: Verhalten ist Kommunikation“
Habe tatsächlich schon mal mit dem Handy mitgefilmt, während wir Bodenarbeit gemacht haben. Da sieht man erst einmal, dass man oft selbst das Problem ist xD. Danke für den tollen Artikel!