Wie sollte Tölt aussehen, der gut und pferdefreundlich geritten wird? Wie sollte er nicht aussehen? Hier findest du ein paar Gedanken dazu, die dir hoffentlich helfen, deinen Blick für den Tölt zu verbessern.
Vor ein paar Tagen habe ich durch Instagram gescrollt und bin an einem Bild hängengeblieben, das ein Islandpferd im Tölt zeigte und sehr, sehr viele Likes bekommen hatte. Ich war fassungslos: Entweder wurden die Likes blind verteilt – oder alle, die ihre Zustimmung teilten, haben sich selbst noch nie mit Biomechanik und Anatomie von Pferden beschäftigt.
Das möchte ich zum Anlass nehmen um zu zeigen, wie Tölt NICHT aussehen sollte und WARUM er so nicht aussehen soll. Denn: Nicht jeder Islandpferdereiter reitet so! Ich weiß, dass Isireiter gerne in einen Topf geworfen werden und es dann verallgemeinert heißt: Die Islandpferdereiter haben ja alle Pferde, die mit den Beinen strampeln und den Rücken wegdrücken. So ist es aber nicht (und wenn du mir und meinem Blog schon länger folgst, weißt du das hoffentlich!)
Was ist Tölt und warum ist es nicht so leicht, guten Tölt zu reiten?
Tölt ist, genau wie der Schritt, ein Viertakt. Auch die Fußfolge ist gleich. Anders als der Schritt ist der Tölt aber nicht schreitend, sondern eine gelaufene Gangart. Der Tölt hat keine Sprung-/ oder Flugphase, zu jeder Zeit befindet sich ein Bein am Boden. Das macht den Tölt so erschütterungsfrei und bequem zu reiten.
Die Herausforderung, guten Tölt zu reiten, liegt darin, dass du als Reiter ein gutes Rhythmus- und Körpergefühl brauchst. Du musst spüren können, ob der Takt stimmt und ihn fein korrigieren können. Und hier beginnt die Schwierigkeit: Der Tölt besitzt acht Phasen und bietet ein sehr großes Spektrum an Taktverschiebungen. So kann er mal in Richtung laterale Phase und mal in Richtung diagonale Phase verschoben sein und zu Passtölt oder Trabtölt werden.
Hinzu kommt, dass Islandpferd nicht Islandpferd ist. Es gibt Fünfgänger, Viergänger, Naturtölter, Dreigänger und verschiedene Mischtypen (ausführlich beschrieben wird dies in dem Buch Reiten in Balance von Bruno Podlech*. Ich selbst habe einen Viergänger mit sehr, sehr wenig Tölt und viel Trab. Reite ich Tölt, wird er sehr leicht trabig. Ich muss stets eine positive Spannung aufbauen. Bei einem Fünfgänger wird der Tölt leicht passig. Doch nicht nur dann, reitet man den Tölt mit zu viel Spannung, wird er ebenfalls schnell passig, egal, ob das Pferd ein Fünfgänger ist oder ein Viergänger.
Tölt kann in verschiedenen Tempi geritten. Aber immer gilt: Qualität steht vor Tempo.
Du siehst, korrekt Tölt zu reiten ist alles andere als leicht.
Ganz, ganz oft wird der Tölt wie folgt geritten: Man macht den Körper fest, nimmt die Zügel kurz und die Hände etwas höher, und treibt von hinten. Gern lehnt man sich dabei noch ein Stück zurück. Warum dieser Töltsitz ein feines Reiten über den Sitz verhindert, kannst du hier nachlesen. Und bei Herzenspferd gibt es einen Text über Tölthilfen zu lesen.
Das Ergebnis dieser Reiterei zeigt dir meine Skizze: Das Pferd drückt den Rücken durch, stützt sich auf dem Unterhals ab und läuft deutlich auf der Vorhand. Das versuchsweise aufgesperrte Maul (der Sperrriemen verhindert ein richtiges Aufreißen) zeigt, dass es sich gegen die Einwirkung der Hand wehrt und sich mit der Zügelhilfe deutlich unwohl fühlt.
Leider sieht man dieses Bild sehr oft.
Was passiert, wenn ein Pferd so läuft?
Die Wirbelsäule des Pferdes gleicht einer Hängebrücke, die die Vorder- und die Hinterbeines deines Pferdes miteinander verbindet. Sitzt du als Reiter auf dieser Brücke, sinkt sie nach unten ab. Das ist immer so, es gibt aber einen Unterschied, wie weit die Wirbelsäule und damit der Rücken nach unten absinken. Und dieser ist maßgeblich abhängig von der Rumpfmuskulatur deines Pferdes, zu der neben der Rückenmuskulatur auch die Bauchmuskeln gehören. Die Bauchmuskeln wirken, ganz einfach gesagt, wie ein Stützkorsett: Sie halten den Rumpf deines Pferdes von unten und helfen dabei, dass dein Pferd seinen Rücken aufwölben kann. (Darüber habe ich hier sehr ausführlich geschrieben.)
Wenn ein Pferd beim Reiten seinen Rücken nicht aufwölbt, übernimmt der lange Rückenmuskel die Haupttragearbeit. Weil dieser aber ein reiner Bewegungs- und keineswegs ein Tragemuskel ist, verspannt er und wird fest.
Ist der Rücken fest, kann die Bewegung deines Pferdes, die beim Motor Hinterhand beginnt, nicht bis nach vorne fließen und es kann seine Hinterhand nicht unter den Schwerpunkt setzen und Last aufnehmen, sodass diese nicht genug trägt. Die Hauptlast trägt dann die Vorhand. Außerdem muss das Pferd seine Vorhand zum Beschleunigen nutzen. Hierfür nimmt es den Kopf hoch und benutzt seinen Kopf-Arm-Muskel, also seinen Unterhals, zum Schwungholen.
Dir ist das zu theoretisch? Dann probier es doch selbst mal aus!
Geh in den Vierfüßlerstand. Zuerst wölbst du deinen Rücken auf. Was passiert automatisch mit deinem Kopf? Er sinkt ab. Nun hebst du ein Bein vom Boden und führst es nach vorne in Richtung Kopf. Geht ganz gut, oder?
Jetzt drückst du deinen Rücken nach unten durch. Dabei geht dein Kopf ganz automatisch nach oben und du spürst, wie dein Unterhals hervortritt, oder? Nun versuch wieder, ein Bein nach vorne in Richtung Kopf zu führen. Merkst du einen Unterschied?
Und eine letzte Frage: Welche Haltung ist dir auf längere Zeit angenehmer: der weggedrückte Rücken oder der aufgewölbte Rücken?
So in etwa ist es auch für dein Pferd.
Wird dein Pferd dauerhaft in dieser Haltung geritten, sinkt der Rücken ab und über kurz oder lang wird es zu Rückenproblemen wie einem Senkrücken und einer Trageerschöpfung kommen, im schlimmsten Fall entstehen Kissing Spines. Außerdem werden die Gliedmaßen übermäßig stark belastet und werden über kurz oder lang Schaden nehmen.
Wird ein Pferd so geritten, spricht man übrigens auch von einem Schenkelgänger.
Mit dem Onlinekurs „Rückenfitte Pferde“ bekommst du ein grundlegendes Verständnis für gesunderhaltendes Pferdetraining sowie Einblicke in Anatomie und Biomechanik und du erfährst, wie du dein Pferd rückenfit trainieren kannst und worauf es dabei wirklich ankommt.
Wie sollte Tölt aussehen?
Das Gegenteil eines Schenkelgängers ist ein Rückengänger – und das sollte Ziel eines jeden Reiters sein!
Bei einem guten Tölt sollte, genau wie bei den anderen Gangarten auch, der Rücken aufgewölbt werden. Das Pferd sollte losgelassen und gleichzeitig versammelt laufen, also sein Becken abkippen, seine Hanken beugen und mit der Hinterhand Last aufnehmen. Dadurch wird die Vorhand/der Widerrist angehoben, die Schulter frei und das Genick leicht. Das Pferd sollte die Bewegungen von der Hinterhand über den Rücken bis nach vorne zulassen.
Ausführlich mit dem Thema beschäftigt hat sich unter anderem Anja Rut Hebel in ihrer Arbeit Der Rückengänger im Tölt. Und auch in dem wirklich lesenswerten Buch Dressur für Gangpferde von Kirsti Ludwig, das ich dir wirklich sehr, sehr, sehr empfehlen kann, geht es darum, wie man rückenfreundlich, also über den Rücken, tölten kann.
Das Buch Pferde in Bewegung (hier für dich rezensiert) gibt ebenfalls einen guten Einblick in das WIE und erklärt zudem Anatomie und Biomechanik des Pferdes.
- Harris, Susan E. (Autor)
- Ludwig, Kirsti (Autor)
- Ludwig, Kirsti (Autor)
Wie kommt es dazu, dass ein Pferd „so schlecht geritten“ wird?
Das ist eine gute Frage. Ich glaube, dass den wenigsten Reitern bewusst ist, dass sie ihre Pferde schlecht reiten. Sonst würden sie es wohl nicht tun. Auch ich bin nicht perfekt und mache Fehler. Es kommt aber darauf an, dass man offen ist, dazu lernt und vor allem bereit ist, an sich zu arbeiten und sich zu verändern.
In der Regel ist es so, dass Pferde, die so laufen, eingetöltet werden, ohne dass sie ausreichend Muskulatur aufbauen konnten. Denn, so ist mein Eindruck, das Islandpferd wird viel zu stark auf den Tölt reduziert. Es geht so oft immer nur darum, ob ein Isländer tölten kann und wie gut er tölten kann – und unter „gut“ wird nicht gemeint, ob er losgelassen und taktklar läuft, sondern wie hoch er seine Beine nimmt.
Deswegen steht der Tölt bei der Ausbildung von (Verkaufs-)Pferden meist an erster Stelle (dass viele Pferde keine Bodenarbeit kennen, ist dann natürlich nicht verwunderlich. Denn für einen Isländer ohne Tölt kann man schließlich wesentlich weniger Geld verlangen als für einen Isländer mit Tölt. Also muss Tölt her – dass das auf Kosten des Pferdes geschieht ist vielen dabei egal. Eine solide Ausbildung des Pferdes, bei der die Muskeln ausreichend Zeit haben zu wachsen und sich zu entwickeln, dauert. Und Zeit ist nun mal Geld. Da kann man am Ende niemandem einen Vorwurf machen, trotzdem ist es eine Sache, die mich immer wieder traurig und wütend macht.
Wenn auch dein Pferd das ABC der Bodenarbeit erlernen muss, ist vielleicht mein Onlinekurs Grundlagen der Bodenarbeit etwas für dich.
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Aber, und damit möchte ich auch schließen: Nicht jeder Islandpferdereiter reitet sein Pferd so. Es gibt sehr, sehr viele, die sich mit dem Thema Biomechanik und Anatomie beschäftigen und ihre vier- und fünfgängigen Pferde gesund gymnastizieren und so reiten, dass sie auch im Tölt mit aufgewölbten Rücken und aktiver Hinterhand ihren Reiter gesund tragen können.
Lesetipp: Anatomie des Pferdes: Diese Punkte solltest du als Reiter wissen!
Was ist deine Erfahrung mit dem Tölt? Und was bereitet dir dir meisten Schwierigkeiten? Ist dein Pferd ein Schenkel- oder ein Rückengänger? Erzähl mir gern in einem Kommentar davon!
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3 Kommentare zu „Blickschulung Tölt: So bitte nicht!“
Liebe Karolina,
ich bin schwer begeistert, dass du dich diesem Thema angenommen hast und es so schön leichtverständlich beschrieben hast.
Das Thema sollte noch deutlich mehr vorangebracht werden um das Wissen zu streuen.
Vielen Dank dafür.
Hallo Karolina,
Vielen Dank für diese super Infos , die vor allem verständlich geschrieben sind. Seit 2015 habe ich einen Isländer aus Schulbetrieb übernommen und ihn seither durch geduldige Gymnastizieru g aus der lateralen geholt. Inzwischen sind Trabsequenzen auch auf gebogener Linie und über Stangen möglich. Den mir damals als „Tölt“ angepriesenen Schweinepass habe ich aus dem Programm genommen 🙂 Ich glaube,dass der Tölt bei ihm nie korrekt geritten wurde und da mir die Möglichkeiten dazu fehlen, werde ich dieses Gangbild angesichts seines Alter von 23 Jahren nun nicht weiter aktivieren sondern Zielrichtung ist Gesunderhalt über Bodenarbeit im 3-Gang.
Viele Grüsse-bin gespannt auf nächste Themen Deines Blogs
Liebe Karolina, vielen Dank für deinen informativen Beitrag! Es ist so wichtig, den Unterschied zwischen Schenkelgänger und Rückengänger zu erkennen. Vor allem im Tölt, denn leider ist auch der Tölt eines Schenkelgängers bequem für den Reiter – leider aber nicht fürs Pferd! Einen guten Hinweis neben der Unterhalsmuskulatur finde ich auch das senkrechte Standbein beim Heben des anderen Vorderbeins. Nur dann kann die Hinterhand Richtung Schwerpunkt fußen. Wenn ein Pferd übrigens im Freilauf den Unterhals einsetzt, ist das ganz normal und passiert häufig bei schnelleren Gangarten (Fluchtgangart). Auch auf deinem Foto des Naturtölters ist das auch so. Problematisch wird es erst, wenn das Reitergewicht dazu kommt, weil dann der Rücken fest ist und damit keine Traghaltung möglich ist. Noch eine Anmerkung zur Versammlung im Tölt: Versammlung mit Hankenbeugung wird man hier selten beobachten. Die Hinterbeine werden im Tölt eher gestreckt nach vorne geführt. Das, was wir aus der Versammlung für einen guten Tölt brauchen, ist die relative Aufrichtung der Vorhand, also in Relation zum Vorgriff der Hinterhand. Das passiert automatisch im höheren Tempo, wenn das Pferd über den Rücken läuft (über die Rumpftragemuskulatur). Daher würde ich hier eher von Vorwärts-aufwärts sprechen. Mach weiter so, ich schmökere immer wieder gerne auf deiner Seite! Liebe Grüße, Anja