Reitersitz als Kommunikationsorgan zwischen Pferd und Mensch

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Der Reitersitz: das Kommunikationsmedium zwischen Pferd und Reiter

Jeder Reiter kennt das Bild des richtigen Dressursitzes aus einem der zahlreichen Lehrbücher: Gesäß und Absatz bilden eine senkrechte Linie, der Absatz ist tief und Pferdemaul, Hand und Ellenbogen bilden ebenfalls eine Linie. Doch eigentlich hat der Sitz weniger mit geraden Linien als vielmehr mit Dynamik, Funktionalität und Gefühl zu tun.

Darüber habe ich Anfang 2017 für einen Artikel im Magazin DAS ISLANDPFERD mit Islandpferdetrainerin und Physiotherapeutin Cathleen Ilg gesprochen, die sich auf das Thema Reitersitz spezialisiert hat.

Der ideale Reitersitz: funktional und dynamisch

Für Cathleen ist der ideale Sitz funktional und dynamisch – zwei Eigenschaften, die ein Abdruck niemals darstellen kann. Außerdem ermögliche ein guter Sitz ein feinfühliges und kontrolliertes Einwirken auf das Pferd. Um dies zu erreichen, dürfe man auch gerne vom Sitz aus dem Lehrbuch abweichen.

Sitz ist abhängig von den körperlichen Gegebenheiten

Der Sitz, der in jedem Lehrbuch abgebildet ist, stellt einen Reiter mit perfekten Körpermaßen auf einem idealisierten Pferd dar. Was dieses Abbild aber nicht zeigt: Der Reitersitz ist abhängig von den körperlichen Voraussetzungen und individuellen Möglichkeiten von Mensch und Pferd. Und während viele Reiter dieses Sitzideal im Stand erfüllen können, geht die Perfektion spätestens nach der ersten Runde Schritt verloren. „Bilder und Fotos können einen guten Sitz immer nur bedingt wiedergeben. Viel spannender ist ja zu sehen, was mit dem Sitz in der Bewegung passiert“ bemerkt Cathleen.

Wenn sich das Pferd bewegt, bewegt es den auf ihm sitzenden Reiter mit: hoch, runter, links, rechts, vor, zurück.

Angst beim Reiten als Chance ergreifen
Im Schritt bewegt sich das Becken des Reiters durch die Auf- und Abbewegung der Kruppe wie eine liegende Acht

Im Schritt beispielsweise bewegt sich das Becken wie eine liegende Acht. Durch das regelmäßige Auf- und Abfußen der Hinterbeine entsteht eine regelmäßige Auf- und Abbewegung in der Kruppe und die Gesäßhälften des Reiters werden im Wechsel links und rechts angehoben. Durch das Vorschwingen der Hinterbeine fühlt es sich außerdem so an, als würde man rückwärts fahrradfahren.

Diese dreidimensionale Bewegung muss der Reiter mit seinem Körper aufnehmen und durchlassen, um sein Gleichgewicht halten zu können. Dies funktioniert durch ein rhythmisches An- und Abspannen der Muskeln. Wird die Bewegung nicht durchgelassen, verliert der Reiter sein Gleichgewicht und versteift beim Versuch, seine Balance wiederzuerlangen.

Damit bringt er auch das Pferd aus der Balance und verhindert, dass dieses den Rücken aufwölben und locker schwingen lassen kann. Außerdem kann ein fester Reiter die Energie, die das Pferd mit der Hinterhand erzeugt, nicht mehr bis nach vorne zum Gebiss weiterzuleiten. Er nimmt die Energie auf und lässt sie versiegen. Dabei geht die Vorwärtsbewegung des Pferdes verloren.

Grundlagen eines gutes Sitzes: Losgelassenheit und Koordinationsfähigkeit

Den idealen Reitersitz gibt es nicht, sehr wohl gibt es aber einen korrekten Reitersitz, der sich dem Pferd und den jeweiligen Anforderungen anpasst. Ganz gleich, ob der Sitz entlastend, versammelnd, temporeduzierend oder treibend wirkt, die Grundlagen sind immer gleich: Der Reiter muss stabil und im Gleichgewicht aufrecht sitzen, sein Becken folgt den Bewegungen des Pferdebeckens. Die Oberarme fallen locker aus den Schultern nach unten und die Beine werden aus der Hüfte fallen gelassen. Die Fußspitzen zeigen parallel zum Knie.

Hinzu kommen zwei weitere Grundlagen für einen guten, ausbalancierten Sitz: Losgelassenheit und Koordinationsfähigkeit.

  • Losgelassenheit. Nur wenn beim Reiten eine positive emotionale Atmosphäre herrscht, kann der Reiter sein Bewegungspotenzial abrufen. Ist er gestresst, angespannt oder hat er möglicherweise Angst, werden seine Bewegungen negativ beeinträchtigt. Auch muskuläre Dysbalancen und fehlende körperliche Fitness können dazu beitragen, die Losgelassenheit zu verlieren. Hier liest du mehr zum Thema Reiterfitness und Ausgleichssport für Reiter. Und hier liest du ein Interview zum Thema Losgelassenheit beim Pferd.
  • Koordinationsfähigkeit. Die Koordination, also das Zusammenspiel der einzelnen Körperabschnitte und aller Körperbewegungen, spielt beim Reiten eine sehr wichtige Rolle. Zu den koordinativen Fähigkeiten gehören unter anderem die Orientierungsfähigkeit, die Rhythmusfähigkeit, die Gleichgewichtsfähigkeit, die Reaktionsfähigkeit und die Differenzierungsfähigkeit. Alle koordinativen Fähigkeiten stehen in wechselseitiger Abhängigkeit und stellen die Grundlage für Körperbeherrschung und Bewegungssicherheit dar. Und nur wenn der Reiter in der Lage ist, alle Körperteile unabhängig voneinander und doch aufeinander aufbauend zu benutzen, kann er sich den verschiedenen Bewegungen des Pferdes anpassen, ausbalanciert sitzen und korrekte, feine Hilfen geben. Mehr über die koordinativen Fähigkeiten und wie du sie verbessern kannst, liest du hier.

Der Sitz ist das Medium, über das der Reiter mit dem Pferd kommuniziert

Ist die Sprache zwischen Reiter und Pferd unklar, beispielsweise weil der Sattel nicht optimal passt oder der Reiter verspannt und nicht in der Balance ist, versteht das Pferd nicht, was von ihm erwartet wird. Damit beginnt eine Spirale der Unzufriedenheit: Das Pferd ist unzufrieden, weil es den Reiter nicht versteht und der Reiter ist unzufrieden, weil das Pferd nicht tut, was es soll. Dadurch spannt sich der Reiter immer weiter an und das Pferd versteht am Ende immer weniger, was erwartet wird.

„Häufig wird im Training nur am Pferd gearbeitet. Wenn aber der Sitz nicht stimmt und ein Körperteil beispielsweise sagt ‚so nicht‘, dann können Pferd und Reiter sich nicht verständigen“, sagt Cathleen. Ihrer Meinung nach fehlen vielen Trainern für eine richtige Sitzkorrektur ausreichend Kenntnisse der menschlichen Anatomie, weil dieser Aspekt in der Trainerausbildung fehle. Auch sie habe die Zusammenhänge erst durch ihre Ausbildung zur Physiotherapeutin verstehen und Sitzfehler den Gegebenheiten entsprechend korrigieren können. Insbesondere wenn körperliche Einschränkungen wie Skoliose oder Arthrose vorhanden sind, stoßen viele Trainer an ihre Grenzen. „Dies sind von Natur vorgegebene und nicht veränderbare Einschränkungen, die eine dauerhafte Beachtung finden sollten“, erklärt Cathleen. Auch verhältnismäßig kurze Arme oder lange Oberkörper sind körperliche Gegebenheiten, die dem Reiter das korrekte Sitzen erschweren können.

Der Sattel hat maßgeblichen Einfluss auf den Reitersitz

Was viele Reiter nicht wissen: Auch der Sattel hat einen maßgeblichen Einfluss auf den Sitz. Dabei gibt es drei Grundprobleme, die man vor allem bei den Islandpferden immer wieder beobachten kann:

  • Sattelgröße. Sehr viele Islandpferde haben einen kurzen Rücken und brauchen entsprechend kurze Sättel. Doch nicht jedes Reiterbecken passt in einen kleinen 17-Zoll-Sattel. Hat der Sattel einen tiefen Sitz, ist es sogar noch wichtiger, dass er auch zur Größe des Reiters passt. Ob ein Sattel passt oder nicht, hat nicht allein etwas mit dem Körperumfang und der Größe des Hinterns zu tun, auch die Länge der Oberschenkel spielen eine Rolle. Ist der Sattel zu klein, wird das Becken blockiert und der Reiter gerät ins Hohlkreuz und damit aus der Balance.
  • Schwerpunkt. Der typische Töltsattel besitzt einen nach hinten verlagerten Schwerpunkt. In diesem Fall stimmen der Schwerpunkt von Sattel und Pferd nicht überein. „Wie soll der Reiter denn hier überhaupt im Schwerpunkt sitzen können? Als Konsequenz macht das Pferd seinen Rücken fest und kann sich nicht richtig versammeln“, sagt Cathleen.
  • Pauschen. Ein erkennbarer Satteltrend geht hin zu immer dickeren Pauschen. Diese geben dem Reiter scheinbar mehr Halt auf dem Pferd. In den meisten Fällen erreichen sie aber das genaue Gegenteil. Vor allem wenn der Reiter lange oder dickere Oberschenkel hat, drücken sie die Reiterbeine nach hinten, der Reiter gerät ins Hohlkreuz und der Sitz wird instabil. Auch haben die Pauschen nicht immer die passende Höhe. Hier ist es vorteilhaft, Klettpauschen zu nutzen, die dem Körper des Reiters entsprechend angeheftet werden können.

Das Größenverhältnis zwischen Pferd und Reiter spielt ebenfalls eine Rolle

Doch die Verständigung wird nicht allein durch hausgemachte Sitzfehler erschwert. Sitzt ein großer Reiter auf einem kleinen Pferd, wird er immer Probleme haben, die Balance zu finden und zu halten. Hier ist die Kommunikation über den Sitz stark eingeschränkt. Gleiches gilt für einen kleinen, schmalen Reiter, der einen ein breites Pferd reitet. Hier kann zwar die Kommunikation optimiert werden – beispielsweise, indem der schmale Reiter einen möglichst schmalen Sattel für sein Pferd wählt – perfekt wird sie aber aufgrund der Gegebenheiten niemals sein können.

Und auch auf andere Art kann das Pferd seinen Reiter beeinflussen: Ein schiefer Reiter kann ohne Korrektur die Schiefe seines Pferdes fördern. Umgekehrt kann aber auch ein schiefes Pferd den Reiter schief machen. „Dies ist ein großes Problem für Reiter, die immer wieder schiefe Pferde zur Korrektur erhalten. Hier sind regelmäßige Sitzschulungen empfehlenswert. Unser Körper täuscht uns nämlich, indem er uns vorspielt, alles sei korrekt.“

Lesetipp: So beeinflussen sich Reitersitz und Pferd gegenseitig

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Sitzfehler lösen: Die Ursache muss gefunden werden

Bei der Arbeit am Sitz gilt es also nicht, den Reiter in das Idealbild des Sitzes zu pressen. Stattdessen muss die Ursache gefunden werden. „Die Ursache eines Fehlers ist nicht da, wo er sich zeigt“, weiß Cathleen. Bei hochgezogenen Beinen liegt das Problem beispielsweise im Bereich von Hüfte und Becken oder einem nicht passenden Sattel, bei hüpfenden Händen sind die Schultern fest und der Reiter kann den Bewegungen nicht folgen (hier liest du mehr über den Einfluss der Reiterhand auf Sitz und Pferd). Auch mentale Ursachen sorgen für Sitzprobleme. Angst beispielsweise ist für viele ein großes Thema. Ein Reiter, der Angst hat, neigt dazu sich festzumachen und die Beine hochzuziehen. Oder er presst das Knie fest an den Sattel und blockiert so sein Becken. (Mehr über das Thema Angst beim Reiten kannst du hier lesen.)

So unterschiedlich die Ursachen sind, so vielfältig ist auch die Problemkorrektur. „Hier muss ich als Trainer ausprobieren, worauf der Mensch anspringt. Bei dem einen sind es Vorstellungen und Bilder wie beim Centered Riding. Bei anderen nutze ich Therabänder und Bälle oder lasse verschiedene Atemtechniken in das Training einfließen. Es gibt mehrere Lösungswege für ein Problem und ich muss einfach ausprobieren, welcher Ansatz am besten funktioniert. Manchmal merke ich auch, dass alle Wege nicht funktionieren, weil beispielsweise Muskelverspannungen und Blockaden vorliegen. Hier kann ich als Physiotherapeutin unterstützend helfen. Es kam aber auch schon vor, dass ich einen Reiter mit großer Angst zur Hypnose geschickt habe.“

So kann es sein, dass eine Unterrichtseinheit darin besteht, korrekt zu atmen. Eine solche Unterrichtseinheit habe ich bereits bei Cathleen erlebt und kann es jedem sehr empfehlen: Richtig atmen heißt: mit dem Bauch zu atmen. Die Bauchatmung ist ein Zeichen von Entspannung. Bei Anspannung, beispielsweise durch Stress oder Angst, wird oberflächlich mit der mit der Brust geatmet. Dahinter verbirgt sich ein Urinstinkt des Menschen. Durch eine bewusste Bauchatmung kann die Anspannung gelöst werden: Entspannung und Anspannung sind nämlich zwei widersprüchliche Zustände, die vom Körper nicht gleichzeitig aufrechterhalten werden können. Nur wer entspannt ist, kann losgelöst und ausbalanciert auf dem Pferd sitzen. Mehr dazu liest du hier.

Ist ein Teil des Körpers fest oder blockiert, hat diese Blockade Auswirkungen auf den Rest des Körpers. Zum einen besitzt der Körper Muskelketten, die von oben nach unten verlaufen. Zum anderen gibt es Faszien, die den Körper wie ein Spinnennetz durchziehen und aus Muskeln, Knochen, Sehnen, Nerven und Gefäßen einen zusammenhängenden und harmonischen Organismus machen.

3 Typische Sitzfehler (die vor allem bei den Islandpferdereitern verbreitet sind)

Knie an den Sattel pressen

Jeder Reiter hat einen eigenen Sitz und eigene Fehler. Dennoch gibt es einige typische Sitzfehler, die weit verbreitet sind. Einer davon ist die Vorstellung, dass man seine Knie fest an den Sattel drücken muss, um stabil zu sitzen. Warum Knieschluss Quatsch ist, liest du hier.

Nachvornelehnen im Trab

Ein typischer Sitzfehler, den viele Islandpferdereiter kennen aber nicht als Sitzfehler wahrnehmen, ist das Nachvornelehnen beim Antraben. „Dabei geraten Reiter und Pferd aus der Balance“, merkt Cathleen an. Das Pferd gerät stark auf die Vorhand und der Reiter hat damit zu tun, sein Gleichgewicht zu finden.

Nachhintenlehnen im Tölt

Auch der klassische Töltsitz – Beine nach vorne, Becken abkippen, Rücken rund und nach hinten lehnen -, wie man ihn als typisch isländisch kennt, strotzt nur so von Fehlern. „Für mich gibt es auch keinen Töltsitz. Beim Tölten sitze ich so, wie ich auch bei der Versammlung sitze. Meiner Meinung nach ist der Tölt eine Frage der Vorbereitung und nicht des Sitzes“, sagt Cathleen.  

Mit welchen Sitzfehlern hast du zu kämpfen?

Erzähl mir gern in einem Kommentar davon.

Weitere Infos über Cathleen und ihre Arbeit findest du hier.

Außerdem möchte ich dir noch verschiedene Bücher empfehlen, die dir helfen können, deinen Sitz zu verbessern.

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