Darum ist Knieschluss beim Reiten Quatsch

Knieschluss reiten

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Angst, Stress bei der Arbeit und falsche Angewohnheit sorgen dafür, dass wir nicht locker auf unserem Pferd sitzen können. Wir verkrampfen, sind verspannt und blockieren uns und damit auch unser Pferd.

Auch ich kenne das. Eines meiner größten Probleme waren lange Zeit die festen Knie und die pressenden Oberschenkel.

Als ich anfing zu reiten, habe ich gelernt, dass die Knie so fest am Sattel sein müssten, dass ein Blatt Papier dazwischen geschoben werden kann und dort solange bleibt, bis ich wieder vom Pferd absteige.

Diesen sogenannten Knieschluss beherrschte ich irgendwann sehr gut. Zu gut. Und ich weiß: So wie mir, geht es vielen anderen Reitern. Sie lernen nach wie vor, dass Knieschluss wichtig ist und dass sie sich mit den Oberschenkeln festhalten müssen (Springreiter sind außen vor, sie müssen sich mit Knien festhalten, wenn sie mit ihren Pferden über die hohen Hindernisse fliegen).

Ich bin ein eher ängstlicher Reiter und nach ein paar Stürzen und Knochenbrüchen beherrschte ich den Knieschluss irgendwann nahezu perfekt. Ich hielt mich richtig gut mit Knien und Oberschenkeln am Pferd fest. Und mit jedem Hopser, den mein Pferd zur Seite machte, hielt ich mich noch ein bisschen fester. Das gab mir Halt und Sicherheit. So dachte ich.

Dass das Trugschluss ist, merkte ich erst später. Warum feste Knie nicht nur deinen Sitz instabil machen, sondern auch die Losgelassenheit deines Pferdes stören, erfährst du jetzt.

Zusammengepresste Knie und feste Oberschenkel – na und?!

Viele Reiter denken – na und, dann halte ich mich halt mit den Knien am Sattel fest, was macht das schon?

Auch ich habe das lange gedacht.

Doch dann fing ich an, mich mit der Biomechanik des Pferdes zu beschäftigen und da kam auch ich als Reiter mit ins Spiel.

Heute weiß ich: Die festen Knie gaben mir nur vermeintlichen Halt und vermeintliche Sicherheit. Der Kopf war beruhigt. Mehr nicht. In Wirklichkeit brachten mich die festen Knie und Oberschenkel komplett aus dem Gleichgewicht. Sie blockierten mich und gaben mir eigentlich nur sehr wenig Halt.

Feste Oberschenkel blockieren den Reiter

Wenn das Knie fest an den Sattel gepresst wird, verspannen die innere Oberschenkelmuskulatur und der Gesäßmuskel und das Becken wird fest. Lockeres Sitzen und Mitschwingen ist schier unmöglich, was das Aussitzen im Trab und Galopp wird ebenfalls erschwert.

Und auch korrekte Schenkelhilfen sind mit einem klemmenden Knie nicht machbar. Klammernde Knie und feste Oberschenkel stören auch das Gleichgewicht des Reiters. Die Absätze werden hochgezogen und der Oberkörper kippt nach vorne. Ein stabiler Sitz ist so nicht möglich.

Das könnt zeigt dir das folgende Bild sehr gut:

Feste Knie mit Pfeilen
Hier sieht man es sehr schön: Die Knie werden an den Sattel gepresst, das Bein wird hochgezogen, der Unterschenkel kommt nicht richtig zum Einsatz. Oberschenkel und Gesäß sind angespannt. Der Gewichtsschwerpunkt liegt auf dem Knie und der Reiter ist so nicht wirklich im Gleichgewicht.

Die Probleme auf einen Blick:

  • Gleichgewichtsverlust
  • Blockiertes Becken
  • Hochgezogene Absätze
  • Nach vorne kippender Oberkörper
  • Verspannte Oberschenkelmuskulatur

Feste Knie – nicht nur ein Problem für den Reiter

Feste Knie blockieren aber nicht nur den Reiter. Sie blockieren vor allem auch das Pferd, das unter einem klammernden Reiter nicht mehr locker über den Rücken gehen kann. Losgelassenheit wird vergeblich gesucht.

Doch es gibt noch weitere Probleme: Wenn der Reiter sein Gleichgewicht verliert und zum Beispiel zu sehr nach vorne kippt, dann stimmt auch das Gleichgewicht des Pferdes nicht mehr und es muss sich ständig neu ausbalancieren. Das ist sehr anstrengend. Und in den allermeisten Fällen passiert folgendes: Das Pferd kommt auf die Vorhand. Und zwar zum einen, weil der Schwerpunkt von Pferd und Reiter vorn liegt und zum anderen, weil der feste Reiter für einen festen Rücken sorgt und das Pferd nicht mehr mit der Hinterhand unter den Schwerpunkt treten, dadurch sein Becken abkippen und damit den Rücken aufwölben kann.

Und dann kommt noch hinzu, dass feste Knie und pressende Oberschenkel sehr unangenehm für das Pferd sind. Dies betrifft vor allem den breiten Rückenmuskel, der sich unter dem Sattel befindest. Stell dir mal vor du hast jemanden auf dir sitzen, der permanent Druck ausübt…

Deswegen musste ich lernen, die Knie zu lockern. Denn nur wenn ich losgelassen bin, kann auch mein Pferd losgelassen unter mir laufen.

Lockerwerden beginnt im Kopf

So seltsam es klingt: Der Weg zu lockeren Beinen beginnt nicht beim Knie, sondern er beginnt im Kopf.

Erst als ich mich gedanklich damit abgefunden hatte, dass ich NICHT vom Pferd falle, wenn ich meine Knie nicht an den Sattel presse, war ich bereit, lockerer zu werden. Dies zu akzeptieren und darauf zu vertrauen, nicht runterzufallen, ist gar nicht so leicht und es braucht vor allem viel Zeit.

Mittlerweile sitze ich immerhin schon die meiste Zeit locker. Oder zumindest lockerer. Und wer glaubt, dass locker sein ganz einfach ist, der irrt. Ich muss mich immer wieder selbst reflektieren: Bin ich locker oder ist ein Teil meines Körpers fest und verspannt?

Knieschluss beim Reiten ist Quatsch
Knieschluss beim Reiten ist Quatsch

Schritt für Schritt zur Lockerheit

Mein Weg zu lockeren Knien begann auf dem Platz. Dort hatte ich mehr Sicherheit und es fiel mir leichter, mich zu entspannen. Das war und ist für den Kopf ganz wichtig. Entspannen beginnt mit dem Atmen. Darüber habe ich ausführlich im Beitrag Die Anspannung einfach wegatmen berichtet.

Ein weiterer guter Schritt in Richtung Lockerheit sind Sitzübungen an der Longe. Ich muss mich nicht darum bemühen, einen korrekten Zirkel zu reiten, sondern ich kann mich voll und ganz auf mich und meinen Sitz konzentrieren. Steigbügel überschlagen, Augen schließen und mit der Fingerspitze der rechten Hand die Fußspitze der linken Hand berühren (und umgekehrt), den Oberkörper drehen – Möglichkeiten gibt es viele. Richtig toll geholfen hat mir auch das Centered Riding und hier vor allem die „Kugel“. Was es damit auf sich hat, verrate ich dir im Beitrag Reitersitz verbessern.

In jeder Reitstunde wurde ich von meiner Reitlehrerin ermahnt, ich solle meine Beinmuskulatur und da Gesäß entspannen. Immer und immer wieder hat sie es gesagt. Häufig hab ich gar nicht gemerkt, wie angespannt ich war. Bis ich die Muskeln gelockert und bewusst hingespürt habe.

Der Unterschied ist enorm. Anfangs hatte ich eine richtige Blockade im Kopf. Wie soll ich Hilfen geben, wenn meine Knie locker sind? Ganz einfach mit den Waden, sagte meine Reitlehrerin. Sie nahm meinen Unterschenkel und demonstrierte es mir. Damit war der Bann gebrochen, seitdem sind meine Knie so viel lockerer. Nur wenn es Übungen wie Schulterherein und Travers geht, bei denen ich mir konzentrieren muss, fällt mir das Lockerlassen immer wieder schwer. Doch ich arbeite dran.

Den größten Unterschied habe ich übrigens beim Leichttraben gemerkt. Ich war endlich viel mehr im Gleichgewicht und es fiel mir viel leichter richtig, nämlich aus der Hüfte heraus, aufzustehen. Heute, viele Jahre später, kann ich mir gar nicht mehr vorstellen wie es mal anders war. 😉

Diese Übungen haben mir geholfen, weniger mit den Beinen zu klammern:

  1. Beine schwingen lassen. Einer meiner Lieblingsübung zum Lockern der Knie stammt aus Sally Swifts Centered Riding. Dort empfiehlt sie ihrem Leser sich vorzustellen, dass unten an den Beinen Gewichte sind. Die Beine sollen ohne Steigbügel ganz locker runterhängen und mit der Bewegung des Pferdes mitschwingen. Das ist am Anfang ein wenig komisch, es hilft aber ungemein dabei, die Beine zu lockern.
  2. Anspannung spüren. Ganz wichtig ist auch das bewusste Fühlen des Unterschieds von Anspannung und Entspannung (übrigens eine Leistung unseres propriozeptiven Systems). Dafür einfach den Oberschenkel bewusst ganz fest anspannen und ein paar Sekunden angespannt lassen. Dann den Muskel mit einem Ausatmen bewusst entspannen. Wenn du das Ganze zwei, drei Mal wiederholst, dann hast du ein Gefühl dafür, was angespannt von entspannt unterscheidet.
  3. Reiten ohne Sattel/mit Fellsattel/Reitpad. Mit dem Augenmerk auf einem lockeren Sitz ist es auch empfehlenswert, immer mal wieder ohne Sattel oder zumindest mit Reitpad oder mit einem Fellsattel und OHNE Steigbügel zu reiten und sich von der Bewegung des Pferdes einfach nur mitnehmen lassen. Egal, wie das Pferd läuft. Es geht darum, die Bewegung, die durch dich durch geht, zu spüren.
  4. Reiten mit Halsring. Eine super Möglichkeit, dabei die eigene Lockerheit zu überprüfen, bietet das Reiten mit Halsring. Sobald der Reiter sich fest macht und sich (unbewusst) mit den Beinen an das Pferd klammert, können keine verständlichen Hilfen mehr gegeben werden.

Fazit

Heute weiß ich: Ohne zusammengepresste Knie sitze ich viel stabiler, denn ich bin viel mehr im Gleichgewicht und kann auch einen Hopser zur Seite ohne Probleme aussitzen. Ein losgelassener Sitz ermöglicht es mir, den Bewegungen meines Pferdes zu folgen. Mein Pferd hat außerdem die Chance, Losgelassenheit zuzulassen.

Wirklich dauerhaft locker bin ich noch immer nicht. Bis dahin ist es noch ein sehr langer Weg. Aber es ist schon sehr viel besser geworden. Und natürlich gehört zu einem losgelassenen Sitz viel mehr als nur ein entspanntes Bein. Man muss auch locker mit dem Becken mitschwingen können und darf keine festen Schultern haben.

Meine Ausbildung zum Physio-Riding-Coach, bei der der Reitersitz und die Reiterfitness eine wichtige Rolle gespielt haben, hat mir außerdem noch viele Ideen und Lösungsansätze mitgegeben, die ich nicht nur für mich nutze, sondern auch im Unterricht und in Kursen weitergebe.

Ein tolles Bild gegen klammernde Knie beschreibt übrigens Dr. Brigitte Kaluza in ihrem lesenswerten Buch „Reiten nur mit Sitzhilfe„:

Der Herzog von Newcastle hat Anfang des 17. Jahrhunderts dieses Anliegen der Oberschenkel so beschrieben, „als ob sie angeleimt seien“, was gleichzeitig den engen Kontakt und die muskuläre Passivität gut zum Ausdruck bringt.

Dr. Brigitte Kalzua: Reiten nur mit Sitzhilfe. Cadmos 2020. S. 81

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Wie ist es bei dir, hast du auch gelernt, das Knieschluss wichtig ist? Ich freu mich auf dein Feedback!

Tipps zum Weiterlesen

Die Anspannung einfach wegatmen

Reiten aus der Körpermitte, Band 1: Pferd und Reiter im Gleichgewicht

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