Wenn du wissen willst, ob dein Pferd gut trainiert wird, kannst du dir seinen Hals anschauen. Eine ausgeprägte Oberlinie steht in den meisten Fällen für ein gutes Training. Warum das so ist und wie auch du dein Pferd so trainieren kannst, dass es eine schöne Oberlinie bekommt, verrate ich dir jetzt.
Zuerst möchte ich aber sagen: Wenn du den Trainingszustand eines Pferdes bewerten möchtest, darfst du dir nicht nur ein einzelnes Körperteil anschauen. Das ist viel zu kurz gedacht. Der Körper funktioniert nur als Einheit und über Muskeln und Faszien sind alle Teile des Körpers miteinander verbunden – vom Hinterhuf bis zur Nase.
Wenn die Hinterhand schlecht bemuskelt ist, wird dein Pferd auch ganz sicher keine starken Bauchmuskeln haben und wenn dein Pferd einen Senkrücken hat, ist der Oberhals sicherlich auch nicht wie gewünscht bemuskelt. Das funktioniert nicht.
Dennoch gibt es ein paar Punkte auf die du achten kannst, wenn du den IST-Zustand deines Pferdes ermitteln und ggf. mit entsprechend Training optimieren möchtest. Und dazu gehört die Bemuskelung des Halses.
Kleiner Tipp: Im ersten Modul meines Onlinekurses Rückenfitte Pferde gibt es zum Thema Anatomie und Blickschulung jede Menge Input!
Punkt 1: Wie beweglich ist der Hals?
Der Hals ist der beweglichste Teil am Pferdekörper. Dein Pferd kann Kopf und Hals nach oben und unten strecken, nach links und nach rechts.
Die Beweglichkeit ist schon ein erstes Indiz für dich: Wenn dein Pferd hier einschränkt ist in seiner Bewegung, solltest du genauer hinschauen. Möglicherweise – oder ganz bestimmt – liegen muskuläre Verspannungen vor.
Einschränkungen können zum Beispiel sein:
- Dein Pferd lässt sich nur in eine Richtung stellen
- Beim Training in Dehnungshaltung (vorwärts/abwärts) geht dein Pferd hinter die Senkrechte, weil es sich nicht richtig strecken kann
- Dein Pferd kann seinen Hals nicht in beide Richtungen biegen
Tipp: Die Beweglichkeit des Pferdehalses kannst du super mit einer Möhre testen, mit der du dein Pferd in verschiedene Positionen lockst, nach oben, nach unten-vorne, nach unten zwischen den Beinen, an die Brust, nach links in verschiedenen Positionen, nach rechts, …
Punkt 2: Welche Form hat der Hals?
Ein gut trainiertes Pferd hat in der Regel einen schönen runden Hals. Natürlich hängt die Form des Halses nicht nur vom Training, sondern auch vom Körperbau ab. Ein Pferd mit dickem Hals und tiefem Halsansatz wird immer anders aussehen als ein Pferd mit einem langen, schmalen Hals. Hier spreche ich mit meinem anatomisch nicht sehr vorteilhaft gebauten Isi aus Erfahrung…
Dennoch sollte immer die obere Halslinie voller erscheinen als der Unterhals.
Am Unterhals ist vor allem ein Muskel von Bedeutung, der M. brachiocephalicus, der Arm-Kopf-Muskel. Gemeinsam mit weiteren Halsmuskeln beugt Kopf und Hals, sorgt für die Seitwärtsbewegung des Halses und er ist Vorführer der Vorderbeine.
Hierbei gilt es zu beachten, dass ein hervorstehender Unterhals meistens das Ergebnis einer verspannte und damit kürzer erscheinenden Oberlinie ist. Dies kann einerseits trainingsbedingt sein. Andererseits kann aber auch Stress (der häufig in Kombination mit dem Training steht) Ursache sein. Hat ein Pferd Stress, ist die obere Muskelkette aktiv: Fluchtmodus – Kopf hoch.
Wenn der Hals deines Pferdes unten sehr dominant ist, wenn möglicherweise sogar schon in einem entspannten Zustand ein Unterhals sichtbar ist, läuft etwas nicht ganz optimal. In den allermeisten Fällen läuft dein Pferd dann nicht über den Rücken, sondern hält ihn fest. Es arbeitet nicht mit der oberen Muskulatur, was es sollte. Ein gesundes Reittraining findet so nicht statt.
Die Gründe dafür sind vielfältig: eine harte Reiterhand, ein drückender Sattel, ein steifer, schiefer, klammernder Reiter, … Bei den Islandpferden ist beispielsweise häufig ein falsches Tölttraining ausschlaggebend für eine kräftige Unterhalsmuskulatur. Falsch, weil die Pferde beim Tölten ihren Rücken wegdrücken. Vielleicht kennst du als Isi-Reiter auch noch die bis heute weit verbreitete Ansage: „vorne halten, hinten treiben…“
Lesetipp: Blickschulung Tölt – So bitte nicht
Dein Ziel sollte stets eine schöne gewölbte Oberlinie sein – und zwar ganz egal, ob du einen Isländer hast, einen Araber, einen Tinker oder einen Hannoveraner hast. Die Muskel an sich sind bei jeder Pferderasse gleich. Und wenn dein Pferd schön über den Rücken geht, werden automatisch die Muskeln trainiert, die oben am Hals sitzen und die „schöne Halswölbung“ hervorzaubern. Besonders hervorzuheben ist hier der M. splenius.
Der M. splenius, der auch als Schmuckmuskel bezeichnet wird, weil er für die optisch schöne Oberlinie sorgt, läuft vom Hinterhauptbein bis zur Brustwirbelsäule. Er ist zuständig für das Strecken, Heben und Seitwärtsbiegen von Kopf und Hals.
Weil dieser Muskel auch mit der Faszie verbunden ist, die sich im Bereich der Sattellage befindet, können Aspekte wie ein nicht passender Sattel, ein schlecht sitzender Reiter und ein verspannter Rücken dafür sorgen, dass die Arbeit dieses Muskels behindert wird.
Wichtig: Einige Pferde haben eine optisch schön gerundete Oberhalslinie, die aber nicht aufgrund der Muskeln so aussieht, sondern aus Speck besteht. Eingelagertes Fett am Mähnenkamm sagt dir: Dein Pferd ist zu dick. Insbesondere das Fett am Mähnenkamm ist gefährlich, weil hier Hormone gebildet werden, die den ohnehin schon angegriffenen Stoffwechsel noch stärker belasten.
Lesetipp: Hier habe ich ausführlich und nach Gesprächen mit Futterexperten über das Thema Dickes Pferd geschrieben.
Wenn du unsicher bist, ob es Fett oder Muskeln sind, die du am Oberhals siehst, kannst du dein Pferd einfach seine Nase zum Boden strecken lassen. In dem Fall werden die Muskeln gedehnt und „verschwinden“. Wenn noch immer Oberlinie zu sehen und fühlen ist, handelt es sich um Speck.
Punkt 3: Ist die Halslinie gleichmäßig?
Du solltest dir nicht nur anschauen, ob der Hals deines Pferdes oben einen Schwung hat oder ob der Unterhals dominiert, sondern auch, ob die obere Halslinie gleichmäßig und frei von Löchern ist.
Mit Löchern meine ich Muskellöcher wie den sogenannten Axthieb, eine Kerbe zwischen Hals und Widerrist. Der Axthieb kann angeboren sein – bei Arabern sieht man ihn zum Beispiel öfter mal. Er kann aber genauso gut – und das nicht selten – auf fehlende Muskulatur und ein nicht optimales Training hinweisen. Löcher an Stellen, an denen eigentlich Muskulatur sein sollte, sind grundsätzlich kritisch zu hinterfragen.
Verantwortlich für den Axthieb sind vor allem ein zu schwacher M. serratus ventralis (der wichtigste Muskel des Rumpftrageapparats) sowie damit einhergehend ein schwacher M. splenius und ein schwacher M. rhomboideus. Beide Muskeln sind an der oberen Halslinie zu finden. Muskeln lassen sich nicht allein trainieren und wenn das Training nicht passt und der Rumpftrageapparat zu schwach ist, sind auch die anderen relevanten Muskeln nicht ausreichend kräftig.
Punkt 4: Wo ist der höchste Punkt?
Grundsätzlich gilt: Das Genick sollte der höchste Punkt des Halses sein. Dies ergibt sich eigentlich automatisch durch ein gesundes Training von hinten nach vorn. Leider gibt es immer mehr Pferde, bei denen dies nicht der Fall ist. Bei diesen Pferden ist die Mitte des Halses der höchste Punkt. Hier spricht man vom sogenannten „falschen Knick„. Bei diesen Pferden trägt weniger die Muskulatur der Oberlinie, wie es eigentlich sein sollte, sondern eher die Unterhalsmuskulatur. Und als Folge kippt der Kopf im Bereich des 2./3. Halswirbels ab. Der positive Spannungsbogen von der Hinterhand über den Rücken bis zum Genick ist nicht vorhanden.
Der falsche Knick entsteht in den allermeisten Fällen aufgrund einer falschen Reitweise. Ausführlich berichte ich darüber in meinem Beitrag: Der falsche Knick beim Pferd: Ursache und Lösung
Punkt 5: Wie fühlt sich der Hals deines Pferdes an?
Was fühlst du, wenn du den Hals deines Pferdes anfässt und abstreichst und wie reagiert dein Pferd auf deine Berührung? Spürst du Verhärtungen, Dellen oder Muskellöcher? Lässt sich dein Pferd überall gut anfassen oder reagiert es mit Ausweichen, angelegten Ohren oder gar mit einem Schnappen? Verhärtungen und Berührungsempfindlichkeiten geben dir einen guten Hinweis auf mögliche muskuläre Verspannungen. Vor allem im Bereich des Nackens zeigen Pferde sehr deutlich, wenn ihnen die Berührung nicht angenehm ist.
Bei leichten Verspannungen kannst du dein Pferd massieren. Massegriffe, die du selbst anwenden kannst, zeig ich dir in meinem Onlinekurs Rückenfitte Pferde. Bei starken Reaktionen solltest du unbedingt einen Pferdeosteopathen oder Pferdephysiotherapeuten deines Vertrauens kontaktieren.
Mit dem Onlinekurs „Rückenfitte Pferde“ bekommst du ein grundlegendes Verständnis für gesunderhaltendes Pferdetraining sowie Einblicke in Anatomie und Biomechanik und du erfährst, wie du dein Pferd rückenfit trainieren kannst und worauf es dabei wirklich ankommt.
Die Halsmuskulatur des Pferdes aufbauen – so geht’s
Bevor ich dir ein paar Trainingstipps mitgebe, möchte ich dir sagen: Du kannst keine einzelnen Muskeln auftrainieren. Deswegen ist es falsch zu sagen, dass man die Halsmuskulatur des Pferdes trainieren möchte. Du solltest also dein gesamtes Training unter die Lupe nehmen. Was machst du? Wie läuft dein Pferd? Wo sind mögliche Probleme? Und natürlich musst du schauen, ob das Equipment passt.
Tipp 1: Biete deinem Pferd einen steten Wechsel aus Anspannung und Entspannung
Der Muskel wird trainiert, wenn er sich bewegen darf. Eine konstante Haltung sorgt für Verspannung und verhindert den Muskelaufbau. Verändere den Rahmen deines Pferdes, wechsle versammelnde Übungen mit Dehnungsphasen ab.
Tipp 2: Vermeide Stress
Bau dein Training so kleinschrittig auf, dass dein Pferd die erforderlichen Übungen gut und erfolgreich meistern kann. So vermeidest du Stress durch Überforderung und eigenen Frust über Misslingen und trainierst erfolgreicher.
Lesetipp: Über Stress im Pferdetraining habe ich mit Marlitt Wendt gesprochen. Du findest das Interview hier.
Tipp 3: Trainiere abwechslungsreich
Das beste Training besteht aus einer Mischung aus Übungen für die Ausdauer, die Kraft und die Koordination. Auf diese Weise sprichst du sämtliche Muskelgruppen an – auch die wichtige Tiefenmuskulatur die Halt und Stabilität bietet. Hier findest du Tipps zum Muskelaufbau mit Bodenarbeit.
Tipp 4: Mach die Dehnungshaltung zu deiner Lieblingshaltung
Ich weiß, bei dem Wort Dehnungshaltung klingeln bei vielen Pferdebesitzern die Alarmglocken weil sie denken, sie sollen ihr Pferd auf der Vorhand durch die Gegend latschen lassen. Das ist aber nicht so. Die Dehnungshaltung ist super anstrengend für die Pferde und muss erst trainiert werden. Durch das Reiten oder auch Longieren in Dehnungshaltung sprichst du jedoch die richtigen Muskeln an, die Oberlinie wird gestärkt. Trab in Dehnungshaltung ist meiner Meinung nach eine der besten Möglichkeiten, den Rumpftrageapparat zu stärken – und trainierst du den Rumpftrageapparat, „korrigierst“ du automatisch auch einen möglichen Axthieb und baust die schöne Halsmuskulatur auf.
Tipp 5: Arbeite an deinem eigenen Sitz
Wenn du schief, steif und klammernd auf dem Pferderücken sitzt, kann sich dein Pferd nicht losgelassen und gesund unter dir bewegen. Deswegen solltest du nicht nur auf dein Pferd achten und Trainingspläne und -ziele für dein Pferd erstellen, sondern auch an dir, deiner Reiterfitness und einem Reitersitz arbeiten. Nur gemeinsam als Team erreicht ihr euer Ziel.
Ein besonderer Tipp an dieser Stelle: Fotografier dein Pferd regelmäßig um die Entwicklung auch objektiv bewerten zu können.
Wenn dich das Thema Blickschulung, Fühlen und Muskelaufbau interessiert, ist vielleicht mein Onlinekurs Rückenfitte Pferde etwas für dich. Hier findest du eine Übersicht, was der Kurs enthält und was dich dort erwartet. Alternativ, wenn dir der große Kurs zu teuer ist oder du nur am Anatomiewissen interessiert bist, wäre die abgespeckte Version „Anatomiewisssen für Reiter“ interessant.
Außerdem habe ich hier ein paar Buchtipps für dich:
- Christine Hlauscheck(Autor)
- Welter-Böller, Barbara(Autor)
Erzähl mir gern im Kommentar von deinem Pferd: Wie sieht es aus und welche „Problemstellen“ gibt es bei euch?
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